Motorradtour zum Nordkap
Es wird Zeit, dass es endlich losgeht. Höchste Zeit, nein, allerhöchste Zeit sogar. Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist, aber wenn ich mich auf etwas freue, dann werde ich umso unruhiger, je näher der Tag "X" rückt. Es fällt mir dann schwer, mich zu konzentrieren. Alles andere nervt und stört, und in Gedanken bin ich eigentlich schon unterwegs.
Monate der Planung liegen hinter uns: Wann fahren wir? Wo soll es hingehen? Welche Fähren nehmen wir? Immer wieder haben wir uns getroffen, und Pläne geschmiedet. Aber jetzt ist es ja fast so weit: Das Sachen sind gepackt, das Motorrad gescheckt und vollgetankt. Beladen werde ich es Morgen früh, bevor wir starten. Um 8:00 Uhr treffen wir uns bei mir.
"Die Vorfreude ist die schönste Freude", so heißt es ja in einem Sprichwort. Ich finde das Quatsch. Bei mir ist die Freude dann am größten, wenn es endlich losgeht, und wir abfahren. Zwei Wochen Motorradurlaub in Schweden und Finnland liegen vor uns. Ohne feste Route, ohne bereits gebuchte Unterkunft. Wenn das Wetter mitspielt, wollen wir durch die finnische Seenplatte bis nach Rovaniemi am Polarkreis, dann Richtung Westen bis Jokkmokk in Schweden, und dort wieder gen Süden nach Göteborg. Aber das ist nur ein loses Gerüst, und keinesfalls eine zwingende Route. Lediglich die Fähren stehen fest: Zunächst Kiel -> Göteborg, dann Stockholm -> Turku, und zum Schluss Göteborg -> Kiel. Ansonsten können wir tun und lassen, was wir wollen.
Es wird Zeit, dass es endlich losgeht. Höchste Zeit, nein, allerhöchste Zeit sogar...
Halb sieben aufstehen, duschen, frühstücken, anschließend das Motorrad packen, so startet mein Tag bei herrlichem Wetter. Pünktlich um kurz vor acht steht Johannes bei mir vor der Tür, ich schiebe gerade meine Tenere aus der Garage. Sein breites Grinsen und das fröhliche "Moin!" zeigen mir, dass er sich genau wie ich darüber freut, dass es nun endlich losgeht. Kurz darauf fährt Markus vor, und auch der trägt dieses "Jetzt-geht's-los-Grinsen" im Gesicht. Ein kurzes, gegenseitiges begutachten der Motorräder, noch einmal eine knappe Zusammenfassung der Route des heutigen Tages, und dann verabschiede ich mich von Claudia und Nils (Nina ist bereits zur Schule). Aufsitzen, Motor anlassen und abfahren, wie immer mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend. Zwei Wochen ohne Familie - dieser Gedanke ist schon komisch. Aber bald schon beansprucht die Straße meine Aufmerksamkeit.
Über Land geht es bis auf die A43, dort fahren wir Richtung Münster. Von da an halten wir uns auf der A1 immer Richtung Norden. Ungefähr im Stundentakt machen wir Pause, ein Rhythmus, der sich bereits auf unserer letzten Tour bewährt hat. Die Autobahn ist sehr voll, viele LKW's sind unterwegs, dass fahren macht nicht besonders viel Spaß. Außerdem nimmt, je weiter wir nach Norden kommen, die Bewölkung zu. Wir schaffen es noch trocken durch den Elbtunnel, aber kurz danach geraten wir in einen Regenschauer. Die Wolken am Himmel sind ziemlich dunkel, aber zum Glück sehen sie bedrohlicher aus, als sie tatsächlich sind. Der Himmel klart wieder auf, und als wir gegen 14:30 Uhr den Schwedenkai in Kiel erreichen, haben sich die Wolken überwiegend verzogen, und die Sonne scheint uns auf die Helme. Nun heißt es warten.
Warten auf die Fähre in Kiel
Viele Motorradfahren sind nicht am Anleger. Eine Gruppe Finnen, die aber unter sich bleiben wollen und jeden Kontakt mit uns meiden. Und ein einzelner Fahrer aus der Nähe von Hannover. Er hat im Süden Schwedens ein Haus, in dem er mal wieder nach dem Rechten sehen will. Das war's dann auch schon fast. Ein finnisches Paar fährt noch mit seinen beiden Harleys vor. Sie verstauen die Maschinen in einen Van, vielleicht sparen sie auf diese Weise ja Fährgebühren.
Um 17:00 Uhr dürfen wir endlich auf das Schiff. Die Regel "Motorräder zuerst" gilt immer noch, und so sind wir bereits kurze Zeit später in unserer Kabine. Wir verstauen unsere Sachen, und gehen hinauf auf das "Sonnendeck". Mit etwas Brot, Minisalami, äpfeln, Erdnüssen und Dosenbier machen wir es uns dort bequem. Über den Bordlautsprecher erzählt jemand aus der Schiffscrew etwas von Windstärke sieben bis acht, aber das kümmert uns im Augenblick nicht. Zufrieden verdrücken wir unser Festmahl, genießen ein paar Sonnenstrahlen und die Skyline von Kiel :-) Als wir allerdings ablegen und den Hafen verlassen, wird es doch recht schnell kalt hier oben und wir suchen uns unter Deck eine Sitzgelegenheit mit einem Tisch. Dort breiten wir eine Karte für das südliche Schweden aus, und planen die Tour für den nächsten Tag. Wir haben nur einen Zwischenstopp fest eingeplant: Das Industriemuseum von Husqvarna. Und so suchen wir uns eine interessante Route dorthin, telefonieren anschließend noch kurz mit zu Hause, und liegen dann um kurz nach 22:00 Uhr in unseren Kojen.
Oh man, ich hasse das: Ich habe Urlaub, und muss trotzdem früh aufstehen. Um halb sieben klingelt der Wecker und ich quäle mich aus dem Bett. Johannes und Markus sind um diese Zeit schon wesentlich frischer als ich, irgendwie beneidenswert.
Um sieben Uhr gibt es Frühstück, und das nutzen wir ausgiebig. Draußen scheint die Sonne, aber es ist sehr windig. Sogar unser doch recht großes Schiff schaukelt hin und her. Uns fällt die Durchsage von gestern Abend wieder ein bezüglich der Windstärke sieben bis acht. Nun bekommt das ganze einen Sinn. Manch einer der Gäste hier im Frühstücksraum balanciert sein Tablett auf recht abenteuerliche Art und Weise. Aber alles geht gut, niemand verliert das Gleichgewicht, und so fahren wir durch die Schären auf Göteborg zu.
Durch die Schären nach Göteborg
Recht zügig verlassen wir die Großstadt, und fahren dabei eine Zeit lang noch mit dem Hannoveraner von gestern zusammen. Solange, bis wir schließlich Richtung Osten abbiegen, und er geradeaus weiter nach Norden fährt. Ein kurzes Winken, dann ist er auch schon verschwunden. Gute Fahrt, Kollege!
Wir folgten kurz der Autobahn 40, genauer gesagt bis Boras. Von da an fahren wir über Landstraßen bis Husqvarna. Dort besichtigen wir das Fabrikmuseum.
Zufahrt zum Husqvarna-Museum
Im Husqvarna-Museum
Im Husqvarna-Museum
Im Husqvarna-Museum
"Schöne" Aussicht
Jaaah! Genau so soll ein Tag beginnen: Der Himmel ist tiefblau, die Vögel machen bereits einen ziemlichen Krach, und die Sonne trocknet das feuchte Gras. Wenn es bloß nicht erst kurz vor sieben Uhr in der Früh wäre... Ich weiß nicht, warum man im Urlaub so früh aufstehen muss, aber für meine beiden Reisepartner scheint das die absolute Erfüllung zu sein :-( Seufzend beuge ich mich der Mehrheit. Kurze Zeit später kocht bereits das Teewasser, und wir sitzen am Frühstückstisch. Eigentlich haben die beiden ja Recht: Wir sollten das schöne Wetter nutzen. Wer weiß, wie lange es so bleibt.
Unser heutiges Etappenziel ist Stockholm. Um 19:00 Uhr fährt die Fähre hinüber nach Turku / Finnland. Auf dem Weg dorthin wollen wir ein Stück am Götakanal entlang fahren, uns im Städtchen Berg die Schleusentreppe ansehen, und ansonsten auf kleinen, möglichst kurvigen Straßen unserem Ziel entgegen steuern. Unsere Sachen sind von gestern noch nicht ganz trocken, aber das wird unterwegs der Fahrtwind übernehmen.
Gegen halb zehn fahren wir los. Unsere Fahrt geht durch Borensberg, wo sich bereits der Götakanal befindet, und auch das bekannte "Göta-Hotel" steht. Wir folgen dem Kanal, mal in unmittelbarer Nähe, mal auch nur in Sichtweite, immer weiter Richtung Osten. In Berg schließlich stellen wir unsere Maschinen auf einem Parkplatz ab, und sehen uns die Schleusen an.
Die Schleusentreppe von Berg
Die Schleusentreppe von Berg
Mitten in unsere Besichtigung wird es auf einmal laut am Himmel: Ein Kunstflieger hat sich den Luftraum über dem Städtchen Berg als übungsplatz ausgesucht. Respektvoll sehen wir ihm dabei zu, wie er immer und immer wieder seine Schleifen und Loopings in der Luft dreht, und schließlich, nach rund zwanzig Minuten wieder verschwindet.
Bald darauf verschwinden auch wir von hier, und fahren weiter Richtung Stockholm. Und sind schneller da, als gedacht. Die Straße wird voller, der Verkehr immer zähflüssiger - keine Frage, wir nähern uns der Hauptstadt Schwedens. Leider kennen wir uns dort überhaupt nicht aus, sehr gerne hätten wir uns nämlich das Vasa-Museum angesehen. Dieses zeigt im Wesentlichen das vollständig erhaltene und 1628 auf seiner Jungfernfahrt gesunkene Kriegsschiff Vasa und dessen Geschichte. Es soll das meist besuchte Museum in Skandinavien sein, und wäre sicher einen Abstecher wert gewesen (http://www.vasamuseet.se). Aber so stehen wir, nach einer Fahrt durch das Stockholmer Tunnelsystem, gegen 15:00 Uhr bereits am Anleger der Vicking-Line, und warten darauf, dass man uns an Bord lässt. Obwohl es noch recht früh ist, sind wir nicht die ersten: Zwei Finnen sind bereits da, sie kommen aus der Stadt Pori an der Westküste. Von da aus sind sie in zwei Tagen bis nach Italien gefahren, und haben dort Urlaub gemacht. Auf dem Rückweg ist dem einem in Frankreich an seiner Harley der Rahmen gebrochen. Daher fahren sie jetzt mit nur einer Maschine nach Hause. In rund 14 Tagen will der Unglücksrabe dann wieder nach Frankreich fliegen, und sein Motorrad abholen. Apropos Harley: An diesem Wochenende ist ein Harley-Treffen in Finnland. Und so treffen nach und nach immer mehr Harleyfahrer hier ein. Wir kommen mit einigen Schweizern ins Gespräch. Bis Hamburg sind sie mit dem Autoreisezug gefahren, dann über die Vogelfluglinie bis hierher nach Stockholm. Eigentlich eine recht lustige Truppe. Allerdings kippen sie sich hier an der Fähre ein Bier nach dem anderen in den Hals. Ich hoffe, sie schaffen es gleich noch bis auf das Schiff.
Warten auf die Fähre in Stockholm
Wir haben die überfahrt ohne Verpflegung gebucht, und so decken wir uns im Duty-Free-Shop noch kurz mit Erdnüssen und Dosenbier ein, und gehen dann hinauf an Deck. Dort genießen wir die bereits tief stehende Sonne und die Fahrt durch die Schären. Dabei wagen wir auch schon einen Ausblick auf die Tour im nächstem Jahr: Wo soll es hingehen? Vielleicht nach Irland oder Schottland? Oder mal in den Süden? Oder doch wieder nach Skandinavien? Mitten in unsere Diskussion zeigt Markus plötzlich nach oben zum Himmel. Die Kondensstreifen zweier Flugzeuge haben sich überkreuzt, und alle drei fangen wir gleichzeitig an zu lachen. Die Tour 2010 dürfte dank dieses Himmelszeichen geklärt sein: Es wird wohl nach Schottland gehen... :-)
Schottland wir kommen... ;-)
Abends an Deck
Auch für uns wird es nun Zeit, in die Kojen zu kommen. Heute Nacht gegen 3:20 Uhr macht das Schiff einen Stopp in Marienhamn auf den Ålandinseln, und kurz überlege ich, aufzustehen, und mir das anzusehen. Aber dann siegt die Bequemlichkeit. Außerdem: Es wird sowieso nur der Hafen zu sehen sein, und so interessant ist das nun auch wieder nicht.
The same procedure as every morning... Wir stehen früh auf, und ich fluche vor mich hin. Ich habe Urlaub, warum kann ich nicht mal bis zehn Uhr schlafen? Oder wenigstens bis neun. OK, ich sehe es ein, heute sind wir auf der Fähre und um 7:30 Uhr erreichen wir Turku. Da muss ich wohl früh raus. Aber Morgen!
Kurz gehen wir nach oben an Deck, um zu sehen, wie uns Finnland empfängt. Es ist sonnig, und der Himmel grüßt uns mit einem strahlenden blau. Und auch hier gibt es jede Menge Schären. Schier unzählig sind sie, die vielen kleinen und großen Inseln. Sie bilden ein verwirrendes, gleichzeitig aber auch faszinierendes Labyrinth. Im Zickzackkurs fährt unser Schiff hier durch. Auf manchen stehen Sommerhäuser, und ich frage mich, wie und wie lange die Besitzer hierher wohl anreisen.
Ankunft in Turku
Nach dem Frühstück fahren wir ganz entspannt weiter, unterbrechen die Tour wie immer ungefähr im Stundenrythmus. Plötzlich aber doch so etwas wie Aufregung: Entgegen kommende Fahrzeuge warnen uns mit der Lichthupe. Was ist da los, wird etwa geblitzt? Wir reduzieren die Geschwindigkeit und halten unsere Augen offen. Dann die Erklärung für die Warnungen: Ein Pferd läuft frei am Straßenrand auf und ab. Es will wohl die Fahrbahn überqueren, traut sich wegen der Fahrzeuge anscheinend aber nicht. Langsam rollen wir an dem Tier vorbei, immer bremsbereit, in der Hoffnung, dass es nicht direkt vor uns auf die Straße springt. Aber alles geht gut, und bald darauf sind wir wieder in unseren alten Trott.
Die Straßen hier sind eher langweilig. Viel geradeaus, kaum Kurven, rechts und links Bäume, keine Fernsicht - das fahren ist eintönig und ermüdend. Umso wichtiger sind die Pausen. Meist biegen wir kurz von der Straße ab und nach ein paar Metern Asphalt beginnt dann fast immer eine Schotterpiste, die in den Wald führt.
Pause am Wegesrand
Wir übernachten in Rokansalo
Gegenüber unserer Hütte ist eine Wiese für die Zelt-Camper, und dort haben es sich unter anderem auch einige Russen bequem gemacht. Tische und Bänke sind zusammengestellt, der Wodka fließt bereits in Strömen, und einige von ihnen sehen auch schon ziemlich angeschlagen aus. Wir hingegen inspizieren zunächst mal den Campingplatz, der (natürlich) direkt an einem See liegt. Viel los ist hier noch nicht, außer uns und den Russen sind nur wenige Gäste da. Am Wasser ist ein kleiner Holzsteg, wir setzen uns dort hin und genießen die Sonne. Oben an der Hütte gab es einige Mücken, direkt am Wasser hingegen weht ein leichter Wind, und so haben wir hier eine mückenfreie Zone. Später setzen wir uns an einem der ausgewiesenen Grillplätze. Wir haben uns unterwegs in einem Supermarkt Fleisch und Würstchen besorgt, und das ist heute unser Abendessen. Gerade als wir fertig sind, kommt eine junge finnische Familie mit zwei kleinen Kindern dazu. Leider scheitert die Kommunikation an der Sprache. Die Finnen sprechen weder Deutsch noch Englisch, wir hingegen können kein Finnisch. So bleibt es bei einem freundlichen moi moi zum Abschied.
Grillen am See
Wir gehen zurück zu unserem mökki. Die Russen haben mittlerweile den See für sich entdeckt und springen mit viel Geschrei in das noch bitterkalte Wasser. Wir befürchten für die Nacht schon das schlimmste, und stellen uns auf lautes Singen und Grölen ein. Mit der Straßenkarte in der Hand gehen auch wir anschließend hinunter zum See. Dort auf dem Holzsteg breiten wir die Karte aus und besprechen die Tour für den nächsten Tag. Laut Wetterbericht soll es Morgen zwar etwas kälter werden, dabei aber trocken bleiben.
Blick auf "unseren" See
Oh Mann, was ist das für ein Radau in unserer Hütte? Verdammt, Johannes und Markus unterhalten sich bereits. Ein Blick auf meiner Uhr zeigt kurz nach sieben. Ich fasse es einfach nicht: Wie kann man im Urlaub nur immer so früh wach sein? Ich glaube, ich muss für die nächste Motorradtour die Wahl meiner Begleiter doch noch einmal überdenken ...
Ich quäle mich langsam aus dem Bett. Wider erwarten habe ich keinen einzigen Mückenstich. Ich schnappe mir Handtuch und Kulturbeutel und mache mich auf den Weg zum Waschhaus. Dabei komme ich auch an den Russen vorbei. Zum Teil liegen sie nur im Schlafsack draußen auf dem Boden herum. Aber bei den Mengen Wodka, die sie gestern vernichtet haben, merken die bestimmt sowieso kaum etwas von dem harten Untergrund oder der Kälte. Dabei ist es um einiges kälter als gestern Morgen um diese Zeit. Der deutsche Fahrradfahrer, der zum Nordkap will, hat seine Sachen bereits gepackt, und will gerade losfahren, ich wünsche ihm noch eine gute Fahrt. Meinen Respekt hat er, der gute Mann.
Für uns Motorradfahrer beginnt der Morgen wie immer: Frühstücken, Sachen packen, das Motorrad beladen, ein letzter Blick in die Hütte, ob wir auch nichts vergessen haben, dann geht es los. Die ersten Kilometer machen richtig Spaß: Wir folgen der "434" und finden eine Kurve nach der anderen. So macht das fahren Spaß. Leider dauert unser Freude nicht allzu lang. Als wir auf die "435" abbiegen, haben wir sofort wieder das gleiche Bild wie gestern: Schnurgerade Straßen, hin und wieder mal ein kleiner Hügel, das war's.
Straßenalltag in Finnland
Burg Olavinlinna
Es ist sehr warm. Wir fahren weiter in Nord-östlicher Richtung auf Russland zu. In Ilomantis biegen wir ab auf die 522. Diese "Straße der Runen und Grenzen" soll landschaftlich sehr schön sein. Zumindest haben wir hier endlich mal ein wenig Fernsicht. Wir machen Pause an einem Platzt, an dem neben einer Gedenktafel auch alte Geschütze stehen. Wenn wir den Text richtig verstehen, hat hier eine kleine finnische Armee den übermächtigen Gegner aus dem Osten eine ruhmreiche Schlacht geliefert - zum Glück sind diese Zeiten lange vorbei!
Auf der "Straße der Runen und Grenzen"
Schotterpiste
Schotterpiste
"You need a cabin?" fragt er uns auf Englisch. Wir antworten ebenso:
"Yes, one cabin for three people for one night". Der Mann nickt.
"No problem, 68 Euro" sagte er. Wir zucken zusammen.
"68 Euro" sage ich auf Deutsch, "das ist aber teuer". Der Mann zeigt auf das Motorrad von Johannes, und erwidert ebenfalls auf Deutsch: "Teuer? Das da ist teuer". Erstaunt blicken wir uns an: Asterix kann ja deutsch! Johannes und Markus führen das weitere Gespräch. Sie lassen sich von dem Platzwart die Hütte zeigen, verhandeln noch ein wenig, und schließlich bekommen wir das mökki für 50,- Euro. Nicht schlecht, oder?
Hütte auf dem Campingplatz in Lieksa
Mal wieder ist es meiner Meinung nach viel zu früh, als meine beiden Reisepartner aufstehen. Ich drehe mich noch einmal um. 'Schließlich habe ich heute Geburtstag' denke ich bei mir, 'da darf ich ja wohl etwas länger liegen bleiben'. Es ist mir klar, dass die beiden nicht an meinen Feiertag denken. Das allerdings übernehmen dafür andere: Schon mehrere SMS habe ich bekommen, die erste um 00:01 Uhr von meiner Familie. Ein wenig Heimweh bekomme ich dadurch schon und bevor ich mir zu viel Gedanken mache, stehe ich dann doch auf. Als erstes geht es unter die Dusche und als ich aus dem Bad komme, wartet doch eine Überraschung auf mich:
"Geburtstagstorte"
Die Sonne scheint, aber das schöne Wetter täuscht: Als wir die Motorräder packen, merken wir, dass es recht kalt ist. Als wir dann abfahren, wird mir schnell klar, dass ich ziemlich friere. Beim ersten Stopp ziehe ich mir noch eine Jogginghose und einen Pullover unter den Gore-Tex Anzug, dann geht es. So fahren wir Kilometer um Kilometer, die Heizgriffe habe ich schon längst an. Die Bewölkung nimmt zu, es sieht nach Regen aus. Auch die Fernsicht nimmt jetzt zu, die Bäume werden kürzer und dünner. Es bleibt zum Glück trocken, aber es wird sehr windig.
Am späten Mittag erreichen wir Rovaniemi, die Stadt am Polarkreis. Hier wollen wir das Weihnachtsdorf besuchen. Es ist eine recht große Anlage, die hier aufgebaut ist. Wir besichtigen das Wohnzimmer des Weihnachtsmanns, balancieren auf dem Strich, der den Polarkreis symbolisiert, besuchen das Postbüro und den Souvenirladen, und sind uns anschließend einig: Was für ein Kitsch! Sicher liegt es auch daran, in Juni, bei strahlenden Sonnenschein und mittlerweile auch angenehmen Temperaturen ständig "we wish you a merry christmas" vorgeduddelt zu bekommen. So wird dieser Halt zu einem reinen Pflichtstopp, und schon bald sind wir wieder on the road.
Das Haus vom Weihnachtsmann
Wohnzimmer vom Weihnachtsmann
Wegweiser am Polarkreis
Polarkreislinie
Unser Haus am See
Abendstimmung am See
Als der Wecker klingelt, ist es 6:30 Uhr. Warum tue ich mir das eigentlich an? Ich habe Urlaub! Das bedeutet ausschlafen! Laut brummend lasse ich meinen Unmut freien Lauf, aber das interessiert hier niemanden. Kurz darauf kocht das Teewasser, der Tisch ist gedeckt, und ein Blick aus dem Fenster zeigt schönes Wetter. Ich habe geduscht, und sitze halbwegs zufrieden am Tisch. Wenigstens komme wir auf diese Weise früh los.
Richtung Norden geht es, na klar. Wir wollen zum Inari See, und folgen dafür der E75. In Ivola an der Südspitze des Sees zeigt ein Thermometer 12º C an. Und an einem Kreisverkehr gibt es nach rechts eine Abzweigung nach Murmansk: schlappe 303 Kilometer sind es bis dahin. Wir allerdings fahren weiter geradeaus und treffen kurz darauf in Inari ein, der Stadt, die dem See den Namen gab. Viel los ist hier nicht. Kurz hinter dem Ortseingangsschild halten wir an einem Supermarkt. Dort kaufen wir ein paar Sachen für die nächsten beiden Tage ein. Danach einmal kurz am Gashahn gedreht, und schon sind wir wieder raus aus der Stadt.
Am Inari See
Am Inari See
Rentiere auf der Landstraße
Wegweiser
Schließlich erreichen wir einen Ort namens Skoganvarra. Zunächst tanken wir unsere Maschinen auf. Dann folgen wir einem Schild, das uns zu einem Campingplatz mit Hütten führt. Laut Karte sind es von hier knapp 200 Kilometer bis zum Nordkap, das sollte Morgen möglich sein. Die Hütten sind nichts besonderes, wir suchen uns eine aus, Johannes drückt den Preis von 1.000 Kronen für zwei Nächte auf 900 Kronen, und bald darauf laden wir die Motorräder ab, und machen es uns in der Hütte gemütlich. Dann kümmern wir uns um unsere Mopeds. Bei mir muss die Kette nach gespannt werden. öl ist bei allen noch OK. Getankt haben wir gerade erst, dabei auch den Reifendruck geprüft. Der obligatorische Spaziergang rundet den Tag ab. Wir wollen Morgen früh los, und hoffen, dass das Wetter mitspielt. Von Sonne wollen wir gar nicht träumen. So, wie der Himmel zurzeit aussieht, können wir schon froh sein, wenn es trocken bleibt.
Wir übernachten in Skoganvarra
Um 6:00 Uhr klingelt der Wecker und ich springe aus dem Bett.
"Auf geht's Kameraden, das Nordkap ruft" :-)
Naja, ganz so war es natürlich nicht, aber das Aufstehen ist mir doch bedeutend einfacher gefallen als sonst.
Heute ist es richtig kalt. Ich habe fast alles angezogen, was die Gepäckrolle hergibt. Recht zügig kommen wir voran, wir haben total vergessen, dass hier in Norwegen lediglich 80 Km/h erlaubt sind. Dann entdecken wir eine Polizeikontrolle, zum Glück lasern die gerade in der Gegenrichtung. Schlagartig wird uns klar, dass wir nicht mehr in Finnland sind, und passen umgehend unsere Geschwindigkeit an.
Es ist sehr bewölkt, der Himmel trägt grau, aber noch ist es trocken. Wir kommen gut voran, und erreichen am späten Vormittag den Nordkaptunnel. 6.875 m ist er lang, und die tiefste Stelle ist 212 Meter unter dem Meeresspiegel. Es macht keinen Spaß, hier durch zu fahren. Lausig kalt ist es, dunkel dazu, und die Straße ist an vielen Stellen nass. Mitten in meine überlegung, dass ich froh bin, wenn ich hier wieder heraus fahre, kommt uns auf der Gegenfahrbahn ein Fahrradfahrer entgegen. Ach Du liebes bisschen, wenn ich mich hier schon so unwohl fühle, wie muss es diesem guten Menschen denn erst gehen? Ich atme auf, als Licht am Ende des Tunnels erscheint, und wir kurz darauf wieder ans Tageslicht kommen. Gerade will ich mich lobend über die Norweger äußern, die nicht für alles und jeden Gebühren verlangen, da heißt es auch schon: Bremsen!
Nordkaptunnel
Es ist nun sehr windig. Wir folgen der sehr guten Straße, die uns zum Nordkap bringen wird. Schilder warnen, auch auf Deutsch, dass hier ein Rentier-Aufzuchtgebiet ist. Und so sieht es auch aus. Auf und neben der Straße stehen und laufen jede Menge dieser Tiere, und machen das fahren nicht eben zur Freude. Mehrmals fahren wir um eine Biegung, und können nur mit einer Vollbremsung einen Zusammenstoß mit diesen "possierlichen Tierchen" vermeiden. Also nehmen wir vor schlecht einsehbaren Kurven die Geschwindigkeit stark zurück, was unsere Fahrt aber leider nicht gerade beschleunigt.
Es ist ziemlich genau 12:00 Uhr, als wir das Nordkap erreichen. Vorher heißt es aber noch einmal bezahlen, und zwar rund 35,- Euro pro Person. Das nenne ich einen stolzen Preis. Dafür dürfen wir jetzt aber auch 24 Stunden hier bleiben.
Parkplatz am Nordkap
Am Nordkap-Globus
Vom Nordkap aus fahren wir nun immer Richtung Süden
See in Skoganvarra
Zwar klingelt der Wecker heute Morgen "erst" um 7:00 Uhr, aber so leicht wie gestern fällt mir das Aufstehen trotzdem nicht. Aber es hilft nichts, wir müssen los.
Das Motorrad von Markus will wieder nicht anspringen. Also "dürfen" Johannes und ich wieder schieben. In südlicher Richtung fahren wir durch Norwegen, folgen zunächst der "69", dann der E6 bis Alto, dort wechseln wir auf die "93". Dann sind wir wieder für ein paar Kilometer in Finnland. Lausig kalt ist es, ich glaube, so gefroren wie hier habe ich noch nie. Rechts und links der Straße ist alles offenes Gelände, der Wind fegt über die Landschaft, es kommt uns kaum ein anderes Fahrzeug entgegen. Plötzlich sehe ich im Rückspiegel, dass Johannes anhält, und nach links deutet. Und dann sehe ich ihn auch, den Elch. Zunächst steht er nur herum, dann setzt er sich plötzlich in Bewegung und verschwindet dann langsam.
Diesmal fahre ich hinten. Es ist nicht mehr ganz so kalt wie in Finnland, noch ungefähr zwei Stunden, dann werden wir anfangen, uns eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. Plötzlich höre ich ein merkwürdiges Geräusch. Es kommt von unten und klingt überhaupt nicht gut. Ein blechernes Scheppern, das zu allem Überfluss auch noch immer lauter wird. Aber ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen: Das Motorrad verliert schnell an Fahrt, ich ziehe die Kupplung, entdecke wenige Meter vor mir eine Einfahrt zu einem Haus und halte darauf zu. Kurz vor der Einfahrt komme ich zu stehen und schaue mir das ganze Dilemma an: Die Kette ist abgesprungen, hat sich zwischen Rahmen und Rad verkeilt. Mein Schutzblech aus Metall hat sich gelöst, sich in die Speichen des Hinterreifens gewickelt und dabei auch das kleine Werkzeugfach zerfetzt. Der Inhalt liegt weit verstreut hinter mir auf der Straße. Markus und Johannes haben nichts bemerkt und sind bereits hinter der nächsten Kurve verschwunden. Das Hinterrad blockiert, ich kann die Maschine nicht weiterschieben und zu allem überfluss kann ich das Motorrad auch nicht auf den Seitenständer stellen, da die Straße hier seitlich etwas abschüssig ist und das leider zur falschen Seite: Es würde umfallen, sobald ich es loslasse. Es ist klar: Hier geht es erst einmal nicht weiter.
So stehe ich hilflos mitten auf der Straße herum, hoffe, das mich keines wer wenigen Autos, die hier vorbeikommen, über den Haufen fährt und darauf, dass meine beiden Kollegen möglichst bald wieder zurückkommen. Tatsächlich dauert es gute fünf Minuten, bis die beiden wieder bei mir sind. Gemeinsam heben und wuchten wir die Maschine an den Straßenrand. Während Markus und Johannes mit Hilfe von Zangen das Schutzblech aus den Speichen entwirren, sammle ich das Werkzeug von der Straße. Die beiden bekommen die Kette soweit wieder hin, dass ich langsam weiterfahren kann. Nach kurzer Beratung entschließen wir uns, den Weg zurück zu fahren. Ungefähr zwei Kilometer zuvor sind wir an ein paar Häuser vorbei gekommen, da war auch eine winzige Tankstelle dabei. Dorthin "fahren" wir nun zurück. Na ja, es ist mehr ein Rollen. Dort angekommen, versuchen ich der Besitzerin der Tankstelle klar zu machen, was mein Problem ist. Sie versteht, um was es geht (mein Englisch kann also gar nicht so schlecht sein) und beginnt, zu telefonieren. Aber eine Mann, der angeblich Motorräder repariert, entpuppt sich als Fahrrad-Bastler und weit und breit ist keine Unterkunft offen. Wir haben mittlerweile fast fünf Uhr nachmittags. Schließlich ruft die gute Frau ihren Bruder an, der nebenan wohnt und auch recht schnell zu uns kommt. Er begutachtet Kette und Kettenritzel und bemerkt ganz richtig, dass es damit nicht weitergehen kann. In Kiruna, ca. 120 KM südlich von hier, ist eine Yamaha-Werkstadt, dorthin sollten wir das Motorrad bringen. Wir überlegen hin und her, schließlich bietet der gute Mann an, die Maschine Morgen früh nach Kiruna zu bringen. Er hat einen VW Pick-Up, auf dem wir meine Tenere verladen können. Mein Gepäck nimmt zum Teil Markus mit, der Rest bleibt beim Moped. Um neun Uhr macht die Werkstatt auf, gegen halb zehn will er da sein. Seine Schwester zeichnet uns noch auf, wie wir dorthin gelangen, dann sitze ich hinten bei Johannes auf, und wir machen uns auf dem Weg nach Kiruna.
So schlecht wie diese Nacht habe ich wohl selten geschlafen. Ständig war ich wach und wälzte mich hin und her. Als ich gegen sechs Uhr dann aufstehe und nach draußen blicke, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen: Es schneit! Wir haben Anfang Juni, und es schneit in Kiruna! Auch Markus und Johannes machen große Augen. Wir frühstücken ziemlich schweigsam, jeder hängt seinen Gedanken nach. Dann beladen wir die Maschinen. Zum Glück geht der Schnee nun langsam in Regen über. Es folgt das übliche morgendliche anschieben von Markus' Motorrad, das sich heute Morgen allerdings besonders wehrt. Dann fahren wir zum Bahnhof, um uns nach einem Autoreisezug zu erkundigen. Allerdings macht das dortigen Büro erst um zehn Uhr auf. Daher fahren wir direkt zum Yamaha Händler, und stehen pünktlich um neun beim ihm vor der Tür. Ich möchte die Ersatzteile möglichst früh bestellen, vielleicht kommen sie dann ja auch etwas schneller. Man klammert sich halt an jeden Strohhalm.
Es hat mittlerweile aufgehört zu regnen, und Markus beginnt, sein Motorrad auseinander zu nehmen, um den Startschwierigkeiten auf den Grund zu gehen. Während Johannes bei ihm bleibt, betrete ich die Werkstatt und gehe zum Infotresen. Allerdings komme ich nur so ungefähr fünf Schritte weit, dann glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Ich mache auf dem Absatz kehrt, stürze nach draußen, und rufe meinen beiden Partner zu: "Da steht genau so ein Moped wie meines zum verkaufen drin". Dann stürme ich wieder in den Laden, und schaue mir die dort stehende Tenere genauer an: Sie sieht wirklich genau wie meine aus: Die gleiche Lackierung, es ist auch das gleiche Baujahr, nur eine höhere Scheibe hat sie. Und vor allem: Ein nagelneues Kettenkit ist dran. Ich schnappe mir einer der Monteure, ziehe ihn zum Motorrad und sage ihm, dass mein Motorrad gleich gebracht wird, und ich genau so ein Kit brauche. Er sagt, er hat es nicht da, muss es bestellen, was drei bis vier Werktage dauert. Johannes, der mittlerweile zu uns gestoßen ist, spricht gelassen aus, was auch mir auf der Zunge liegt: "Können wir nicht dieses haben?" "Kein Problem" antwortet der Monteur und dann zu mir gewandt: "Wann kommt deine Maschine?". "Gegen halb zehn" erwidere ich. "Dann bauen wir dies hier schon mal aus" sagt der gute Mann, und schiebt das Motorrad nach hinten in die Werkstatt. Ich kann es kaum glauben, folge ihm, und springe dabei herum, wie Rumpelstilzchen einst um das Feuer. In die Werkstatt darf ich dann nicht mit hinein. Freundlich, aber bestimmt gibt der Mechaniker mir zu verstehen, dass ich vorne bleiben muss. Er zeigt mir noch einen Getränkeautomat, an dem ich mich bedienen kann, dann schließt sich die Werkstatttür vor meiner Nase. Immer noch aufgeregt, hüpfe ich noch eine ganze Zeit durch den Laden, bis Markus mir von draußen zuruft: "Dein Moped kommt". Ich laufe hinaus, und tatsächlich: Gerade fährt der Pick-Up mit meiner Tenere auf den Hof. Sofort laden wir die Maschine ab, und rollen sie nach hinten zur Werkstatt. Dort haben sie schon alles bereit liegen. Markus hat mittlerweile seine Maschine gescheckt, und herausgefunden, dass nicht der Anlasser kaputt ist. So diskutieren wir, vor dem Getränkeautomat sitzend, noch ein wenig hin und her, bis plötzlich eine Stimme ruft: "Your bike is ready!". Ich blicke durch das Fenster nach draußen, und sehe einen Mechaniker, der meine Tenere aus der Werkstatt nach vorne schiebt. Sofort laufe ich nach draußen, sitze auf, starte und drehe eine Runde um den Block. Ohne Jacke, ohne Helm, es ist eisig kalt, aber egal, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wieder auf dem Bock zu sitzen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht fahre ich zurück zur Werkstatt. Was für ein Glück!!! Die schlechte Laune, die dunklen Gedanken, alles ist wie weggewischt. Ich bezahle den Yamaha-Händler, und bedanke mich mindestens hundert Mal bei dem Pick-Up Fahrer, der mal eben meine Maschine die 120 KM hergebracht hat (natürlich habe ich ihm angemessen Benzingeld gegeben). Dann sind wir abfahrbereit. Ein kurzer Blick auf die Karte: Der Weg ist jetzt einfach: Immer die 45 Richtung Süden, unser nächstes Ziel ist Jokkmokk am Polarkreis. Um 10:15 Uhr geht es endlich los, wir rollen vom Hof der Yamaha Werkstatt. Es stört mich nicht im geringsten, das es wieder anfängt zu schneien. Laut trällere ich in meinen Helm eine leichte Abwandlung eines bekannten Schlagers: "I'm singing in the snow". Allerdings mache ich das nicht lange: Mit Karacho rausche ich voller Übermut in ein riesiges Schlagloch, alles wackelt und vibriert, und ich nehme erschrocken die Hand vom Gas. Aber es ist nichts passiert, und ich mahne mich selber an, mich mehr zu konzentrieren.
So fahren wir Richtung Süden. Zunächst auf der E10, dann wechseln wir hinter Muorjevaara auf die 45. Den nächsten Stopp machen wir in Jokkmokk, einer Stadt am Polarkreis. Dort halten wir an einem Supermarkt, um ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. Es ist mittlerweile trocken, aber immer noch stark bewölkt, und vor allem richtig kalt. Trotzdem laufen die Jokkmokker herum, als wenn es dreißig Grad oder wärmer wäre: Kurze Hosen, kurze Röcke, T-Shirts und Badelatschen, das ist das Outfit der Menschen hier. Wir werden argwöhnisch betrachtet, als wir in unseren dicken Motorradklamotten durch den Laden laufen. Uns kümmert das nicht. Wir verdrücken noch einen Hotdog, wechseln Geld, winken zum Abschied freundlich in die Runde, und verlassen dann die Stadt Richtung Süden.
Kilometer um Kilometer fahren wir, und da wir in der letzten Nacht alle sehr schlecht geschlafen haben, wollen wir heute früh ins Bett. Und so beginnen wir schon gegen 15:00 Uhr damit, nach einer Hütte Ausschau zu halten. Aber es ist wie verhext: Es scheinen kaum Hütten vermietet zu werden in dieser Gegend, und wenn mal etwas ausgeschildert ist, so hat es noch zu. Langsam beginnen wir uns Sorgen zu machen. Irgendetwas muss es doch geben hier oben. Endlich finden wir einen offenen Platz.
Ich werde wach, blicke auf die Uhr und kann es nicht fassen: Halb neun! Ausgerechnet in dieser Bruchbude haben wir so lange geschlafen. Nach einer Katzenwäsche (mit eiskaltem Wasser) und einem kargem Frühstück schwingen wir uns auf die Maschinen und starten in den Tag. Aber nur, um sofort wieder mit einem Problem konfrontiert zu werden, das gestern wegen der Quartierssuche ein wenig in den Hintergrund geraten ist: Das Benzin wird knapp! Zumindest bei Johannes und mir. Markus kann dank seines größeren Tanks nur über unsere Not lächeln. Zum Glück finden wir in dem nächsten Ort eine Zapfsäule, aber die ist leider zu. Bis zum nächsten Ort sind es laut Karte 15 Kilometer, laut Anzeige an Johannes' BMW reicht sein Sprit aber nur für 13 Kilometer. Was tun? Wir lassen es darauf ankommen, fahren ruhig und gleichmäßig, und erreichen schließlich das örtchen Sorsele. Dort finden wir auch eine Tankstelle, die geöffnet hat, und füllen unsere Mopeds mit dem kostbaren Benzin. Anschließend schaut Johannes etwas ungläubig auf die Anzeige der Zapfsäule: 20,20 Liter hat er getankt. Komisch nur, dass sein Tank laut Betriebsanleitung lediglich 20 Liter fasst...
Um dieses Problem erleichtert fahren wir die 45 weiter Richtung Süden. In Storuman kaufen wir ein, und setzen unsere Fahrt fort. Kurz vor Vilhelmina beginnt es zunächst zu regnen, dann geht der Regen in Schnee über, und plötzlich beginnt es kräftig zu hageln. Wir flüchten uns unter einer Brücke, wo sich allerdings das Wasser der Straße sammelt. Einige Autofahrer scheinen uns dieses halbwegs trockene Plätzchen nicht zu gönnen, und rauschen mit großer Fahrt durch die riesigen Pfützen. So werden wir zwar von oben nicht nass, gegen diese netten "Grüße" der schwedischen Autofahrer allerdings können wir uns kaum wehren. Als der Hagel aufhört, fahren wir weiter, aber nur bis kurz hinter Vilhelmina. Dort setzt der Hagel wieder ein, und das "Brückenspiel" beginnt von vorn. Es dauert eine Weile, bis wir unsere Fahrt fortsetzen können, aber dann wartet das nächste Hindernis auf uns: Die 45 wird kurz vor Dorotea renoviert. Der Asphalt ist aufgerissen, und am heutigen Samstag wird wohl nicht gearbeitet. Die Straße gleicht einer Schotterpiste, extrem grob und sehr unangenehm zu fahren. Weiterhin wechseln sich Regen und Schnee/Hagel ab, und bald haben wir die Nase voll vom fahren. Wir suchen eine Hütte, diesmal aber bitteschön mit warmen Wasser. In Stömsund finden wir einen großen Campingplatz, auf dem auch Hütten vermietet werden. Leider ist die Rezeption geschlossen, wir finden auch keine Telefonnummer zum anrufen, überhaupt kein Lebenszeichen. Vielleicht ist die Anlage noch nicht geöffnet? Wir fahren weiter, und finden kurz darauf eine Reihe Hütten, idyllisch an einem See gelegen. Die Vermieterin freut sich auch, uns eine Hütte zu vermieten, allerdings ohne warmes Wasser. Sie hat Probleme mit der Heizanlage, würde uns aber mit dem Preis entgegen kommen. Wir beschließen, weiter zu fahren, und starten kurz vor Hammerdal einen nächsten Versuch: Ein Schild "Stuga" weist uns den Weg in eine Seitenstraße, dort stehen einige Hütten, natürlich wieder direkt an einem See. Ein älterer Herr erscheint, und in einer Mischung aus deutsch, englisch und schwedisch erfahren wir, dass wir eine Hütte mit Dusche und WC haben können, 450,- schwedische Kronen soll sie kosten, und: Es gibt warmes Wasser! Lange zu überlegen brauchen wir da nicht, und so stehe ich kurz darauf unter dem warmen Wasserstrahl, und möchte am liebsten gar nicht mehr darunter weg.
Hütte nähe Hammerdal
Hütte nähe Hammerdal
Hütte nähe Hammerdal
Wir haben gut geschlafen, in Ruhe gefrühstückt, die Sachen gepackt und die Maschinen beladen. Unser Vermieter hatte uns zu verstehen gegeben, das wir den Schlüssel einfach draußen stecken lassen sollten, wenn wir abfahren, und das machen wir dann auch. So sind wir kurz nach 9 Uhr schon wieder auf der Straße. Wobei Johannes und ich bereits nass geschwitzt sind. Die Maschine von Markus hat sich heute besonders gegen das Anspringen gewehrt, und so haben wir bereits Schwerstarbeit geleistet.
Wir sind gerade mal ein paar Minuten unterwegs, als starker Regen einsetzt. Es regnet und regnet, Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer. Wir folgen weiter der 45, machen kaum Pausen, und wollen eigentlich nur noch eines: Nach Hause. Was wir hier vermehrt sehen, sind Schilder, auf denen das Wort "Loppis" steht. Was ist das denn? Wegen dem strömenden Regen haben wir keine Lust, einem dieser Schilder zu folgen, und unsere Neugierde zu stillen. So lesen wir erst zu Hause im Wörterbuch, das es sich dabei um Flohmärkte handelt. Heute ist Sonntag, da werden hier wohl recht oft solche privaten Verkäufe abgehalten. Am frühen Nachmittag erreichen wir den Ort Sveg. Hier tanken wir, und dabei klart der Himmel plötzlich und vor allem sehr schnell auf. Der Himmel wird strahlend blau, die Sonne strahlt von oben und trocknet im Nu die Straßen. Johannes und Markus sind Optimisten: Sie verzichten auf die Regensachen, und erklären die Regenzeit für beendet. Ich bleibe zunächst pessimistisch, aber nur bis zur nächsten Pause, dann wandert auch mein Regenkombi ins Topcase. Jetzt macht das fahren wieder viel mehr Spaß. In Orsa parken wir vor dem Stadthotel, wo sich gegenüber ein Einkaufszentrum befindet. Während ich bei den Maschinen bleibe, gehen meine beiden Partner einkaufen.
Pause in Orsa
Das Aufstehen fällt schon ein bisschen leichter, wenn einem die Sonne ins Gesicht scheint. Diese Erfahrung mache ich zumindest, denn genau so geht es mir heute Morgen. Johannes und Markus sind natürlich schon längst auf, haben Fenster und Türen zum lüften geöffnet, und ob des schönen Wetters verkneife ich mir eine bissige Bemerkung wegen der frühen Zeit. Es ist nämlich gerade erst halb acht. Aber die Temperaturen lassen es bereits zu, dass wir draußen frühstücken, und so fängt der Tag natürlich gut an. Es ist fast zehn Uhr, als wir schließlich losfahren. Wir haben keine Eile, und folgen weiter gemütlich der 45, machen regelmäßig unsere Pausen, und genießen das gute Wetter. Fast könnten wir durchfahren bis Göteborg, aber dort wollen wir keine Nacht verbringen, das haben wir vor zwei Jahren bereits gemacht. Daher beschließen wir, uns am Vännernsee eine Unterkunft zu suchen. Das ist immerhin der größte See in Schweden. Ich habe mal gelesen, dass man, würde man immer entlang der Küste dieses Sees entlang laufen, rund 2.000 Kilometer unterwegs wäre. Irgendwo auf dieser Strecke wird sich ja wohl auch eine Hütte für uns finden, oder? Und richtig, gegen halb vier sehen wir ein Schild "Vita Sanders Camping". Wir folgen dem Abzweig von der Straße und stehen sieben Kilometer später auf dem Campingplatz, der direkt am See liegt und mit vier Sternen glänzt. Stolze 560,- Kronen kostet eine Hütte, ohne Dusche, und wären wir heute nicht so träge, so würden wir wohl weiterfahren.
"Vita Sanders Camping" am Vännernsee
Am Ufer des Vännernsee
Selten ist wohl ein Morgen so relaxed verlaufen wie dieser. Bis fast acht Uhr schlafen wir, danach wird gemütlich draußen gefrühstückt. Nur ein Camper, der auf dem Weg zum Waschhaus direkt an unserer Wiese vorbei läuft, nervt uns ein wenig. Er textet uns zu mit seinem tollen Wohnmobil, aber wir hören gar nicht richtig hin, und bald hat er genug von seinen Monologen, und lässt uns zufrieden. Die Sonne scheint vom blauen Himmel, in kurzer Hose und T-Shirt sitzen wir auf dem Rasen, Mensch, was willst Du mehr?
Entspanntes Frühstück
Gegen halb drei sind wir dann auch schon am Kai der Stena-Line. Die 45 führt direkt dorthin, einfacher geht es wirklich nicht. Nun heißt es warten, erst ab 17:00 Uhr dürfen wir auf das Schiff. Obwohl es noch recht früh ist, sind wir nicht die ersten Motorradfahrer hier: Zwei andere Biker aus Kleve und Mönchengladbach sind bereits da und wir kommen natürlich ins Gespräch. Die beiden haben über "Hurtigrouten" eine komplette einwöchige Tour gebucht, inklusive Hotelübernachtungen und ein Stück Schiffstour war auch dabei. Schlappe 1.800,- Euro pro Nase haben sie dafür bezahlt. Ich überschlage für mich selbst meine eigenen Kosten und komme gerade mal auf die Hälfte, für zwei Wochen wohlgemerkt. Da kann ich mir ein breites Grinsen wirklich nicht verkneifen...
Im Hafen von Göteborg
Ich werde wach, und habe ein schwer zu beschreibendes Gefühl: Einerseits ist die Tour jetzt leider fast zu Ende. Andererseits bin ich heute Abend wieder bei meiner Familie, die ich jetzt zwei Wochen lang nicht gesehen habe. Aber es ist klar, die Wiedersehensfreude überwiegt.
Um 6:30 Uhr stehe wir auf und genießen um sieben Uhr bereits das Frühstücksbuffet. Pünktlich um neun Uhr legen wir in Kiel an. Von hier an geht es über die Autobahn Richtung Heimat. Nach mehreren kurzen Pausen sowie einer etwas längeren Unterbrechung (wegen einem Unfall wurde die A1 vorübergehend komplett gesperrt), erreichen wir gegen 15:30 Uhr unsere Heimat.
6.000 Kilometer in 14 Tagen. Für den einen klingt das nach Horror, der andere zuckt nur gelangweilt mit der Schulter. Ich für mich kann sagen, dass ich das nicht mehr haben muss. Lieber weniger fahren, dafür aber mehr sehen, mehr Leute treffen, mehr erleben. Allerdings war es so ja auch nicht geplant. Und immerhin waren wir nun am Nordkap.
Finnland fand ich zum Motorradfahren nicht so toll. Wenn man nicht gerade viel Zeit hat und die ganz kleinen Straßen fährt, dann geht es meist kilometerweit schnurgerade durch die Wälder. Kurven: Fehlanzeige. Fernsicht: Fehlanzeige. Berge: Fehlanzeige. Sicherlich gut für einen erholsamen Urlaub mit dem Wohnmobil, aber nicht für den Motorradfahrer.
Norwegen haben wir ja diesmal fast nur am Nordkap erlebt. Aber ich habe das Land ja bei der letzten Tour etwas besser kennen gelernt und ich finde es landschaftlich wirklich grandios dort. Von den skandinavischen Ländern ist es zum Motorradfahren bisher mein Favorit.
Schweden ist auch schön, so ein Mittelding zwischen Finnland und Norwegen. Leider sind hier die Hütten (Stuga) um einiges teurer als in Norwegen. Dafür sind sie dann wiederum meist besser ausgestattet. So gleicht sich eben immer alles aus.
Das Nordkap: Ich habe eigentlich nicht gedacht, dass ich so einen Felsen wirklich faszinierend finde. Zumal es ja eigentlich auch gar nicht die nördlichste Stelle des europäischen Festlandes ist. Aber so kann man sich täuschen: Es war ein tolles Gefühl, dort zu stehen und über das Meer zu blicken. Dieses Gefühl kann ich nicht beschreiben, ich denke, man muss es wirklich erleben. Im Nachhinein wäre ich gerne länger dort geblieben, es gibt da noch so einiges zu sehen. Also muss ich da wohl noch einmal hin...
Wer weiß.
Das Dilemma mit der Kette: Im Nachhinein betrachtet ist es fast unglaublich, wie das alles abgelaufen ist. So ein Glück hat man wohl nicht alle Tage. Steht doch in diesem kleinen Ort in Lappland genau so eine Maschine gebraucht zu verkaufen, wie ich sie habe. Und dann auch noch mit einem nagelneuen Kettenkit, also genau das, was ich gerade brauche. Wahnsinn!
Im Nachhinein habe ich mich zunächst ein wenig geärgert, dass ich keine Fotos von dieser Geschichte habe: Meine Tenere mit der kaputten Kette... Meine Tenere auf dem VW Pick-Up... die "andere" Tenere in der Yamaha Werkstatt... und... und... und. Aber das zeigt wohl, dass wir alle drei doch sehr an dieser Situation zu knacken hatten: Wir fahren zusammen in den Urlaub, kommen aber nicht gemeinsam nach Hause. Da waren wir wohl nicht abgebrüht genug, in dieser Situation auf den Auslöser zu drücken. Aber genau das macht mich andererseits auch wieder froh: Wir sind halt auch "nur" Menschen.
Und nächstes Jahr? Das Ziel unserer Motorradtour im nächsten Jahr könnte tatsächlich "Schottland" heißen, nicht nur wegen dem bereits vorher erwähnten Himmelszeichen. Wir alle drei haben Lust auf Schlösser, Whisky und die Highlands. Aber endgültig wird das erst Ende des Jahres entschieden.
Wer schreibt hier?
- Detlev, Jahrgang '61
- Motorradfahrer - Wanderer - Radfahrer
- Hobbyfotograf
- Unterwegs immer mit Kamera, Block und Stift "bewaffnet"
Mehr über mich findest Du hier.
Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mir auf meinen Touren Notizen zu machen, mal mehr und mal weniger ausführlich. Diese "TourNotizen" kannst Du Dir auf den Seiten Deutschland und Europa ansehen.
Viel Spaß dabei!
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