logo tournotizen.de     
Geschichten & Bilder von unterwegs     

Pilgerweg "Schola Dei"

 Freitag 

Pilgern in Ostfriesland - davon hatte ich vorher noch nie etwas gehört. Und doch ist es möglich: Der Weg "Schola Dei", die Schule Gottes, führt auf 40 Kilometern von Ihlow über Marienhafe nach Norden. Unterwegs soll der Wanderer dabei so einige Möglichkeiten zum Innehalten, zur Besinnung, und zum Nachdenken finden. Echtes Pilgern eben.

Wir sind bereits am Mittag gegen 14:00 Uhr im Ostfriesischen Ihlow. Unsere Unterkunft finden wir Dank Navi ganz problemlos, und wir können auch gleich die Zimmer beziehen. Die sind einfach und auch nicht besonders groß, aber sauber und günstig: 20,- Euro pro Person und Nacht, und ein Frühstück ist auch noch inklusive - was wollen wir mehr?

Unterwegs hat es immer wieder einige Regenschauer gegeben, und auch jetzt sieht es so aus, als ob der Himmel jeden Moment seine Schleusen öffnen wird. Daher fahren wir mit dem Auto zum Startpunkt unserer Tour, dem ehemaligen Zisterzienserkloster im Wald von Ihlow. Unsere Wanderung wollen wir zwar erst Morgen beginnen, aber warum sollen wir nicht bereits heute einen Blick auf die Anlage werfen. Und diese hat es wirklich in sich. Das eigentliche Kloster ist schon längst verfallen, und an dessen Stelle wurde eine "Klosterkirchen-Imagination" errichtet: Ein fast 68 Meter langes, rund 35 Meter breites, und beinahe 45 Metern hohes Gewölbe-Ensemble aus Holz und Stahl. Im Jahr 2009 wurde es nach rund vier Jahren Bauzeit fertiggestellt, und als wir da mittendrin stehen, bekommen wir einen guten Eindruck von der Größe, die dieses Kloster einmal gehabt hat. Abgerissen wurde es übrigens im Jahre 1529, nachdem es im Zuge der Reformation aufgelöst wurde.



Man kann diesem Koloss auch über eine Wendeltreppe "auf das Dach steigen". Von dort soll man eine schöne Aussicht auf das Land rundherum haben. Aber das Wetter ist heute viel zu schlecht. Es hat mittlerweile ein leichter Regen eingesetzt, und daher sehen wir uns den "Raum der Spurensuche" an. Der befindet sich unterhalb der Holz-Stahl-Konstruktion, und hier stehen auch die Fundamente des ehemaligen Klosters. Außerdem beherbergt er den neuen Altar. Der besteht aus einem kreiselförmigen Tisch, der von einer Bronzeplastik gestützt wird.





Ebenfalls zu sehen sind verschiedene Relikte weiterer untergegangener ostfriesischer Klöster, und auch die sogenannten "Ihlower Fliesen". Das sind Bodenplatten mit verschiedenen Motiven, von denen man vermutet, dass sie im Altarraum des früheren Klosters verlegt gewesen waren. Der Besucher wird bei seinem Gang durch den Raum begleitet von Licht, Text und Töne, und das alles erzeugt eine recht feierliche Atmosphäre in diesem halbunterirdischen Raum. Nur im Bereich des neuen Altars am Ende der Ausstellung fällt Tageslicht, ansonsten wird das Licht nur sparsam und sehr zielgerichtet eingesetzt. Wir halten uns eine ganze Weile hier auf, und sehen uns alles an, bevor wir wieder nach draußen gehen.









Zu der ganzen Anlage gehören auch noch ein Klostergarten, ein Klostercafe sowie ein kleiner Klosterladen. Und genau in dieser Reihenfolge statten wir nun allem einem Besuch ab.

Der Klostergarten ist nicht gerade riesig, und seine ursprüngliche Existenz auch nicht historisch belegt. Aber da die Zisterzienser, also die Mönche der Zisterzienserklöster, seinerzeit Selbstversorger waren, ist es durchaus wahrscheinlich, dass es so einen Garten damals tatsächlich gegeben hat. Allerdings wohl ein wenig größer. Trotzdem werden hier und heute alle vier Themen aufgegriffen, die so eine Anlage zu jener Zeit üblicherweise hatte. Da wäre zunächst der "Heilpflanzengarten". Hier wachsen die Pflanzen, die im Mittelalter mit mehr oder weniger Erfolg als Arznei genutzt wurden. Der zweite Bereich beinhaltet den "Hexengarten". Dieser beherbergt Pflanzen, die ganz oder in Teilen giftig sind oder denen mystische Kraft zugeschrieben wurden. Einen eigenen Bereich, nämlich den "Mariengarten", erhielten die Pflanzen, die im Mittelalter mit der Jungfrau Maria in Verbindung gebracht wurden. Die war nämlich die Schutzpatronin der Zisterzienser. Und schließlich gibt es noch den "Küchengarten", auch "Karlsgarten" genannt. Darin wurden all die Pflanzen und auch Bäume gepflanzt, die Karl der Große für seine Untertanen als gut befunden hat. Das alles ist viel Arbeit, trotz der relativ kleinen Ausmaße, und die wird von den "Klosterfrauen" verrichtet, einer Gruppe von Frauen aus dem Klosterverein sowie der Hermann-Tempel-Gesamtschule in Ihlow.



Nach diesem botanischen Exkurs ist uns der Sinn nach einer Stärkung, und wir genießen im Klostercafe Kaffee bzw. Tee und Kuchen, und machen im Anschluss noch einen Abstecher in den Klosterladen, der einige Andenken nicht nur vom Kloster anbietet.

Nun wissen wir, wo unsere Wanderung Morgen beginnen wird. Mittlerweile hat der Regen aufgehört, und wir fahren am Abend in das nicht weit entfernte Marienhafe, um dort etwas zu essen. Dort erfahren wir auch, dass auf dem Platz hinter der Kirche heute Abend ein "Midsommerfest" stattfindet. Das wollen wir uns genauer ansehen und so laufen wir nach dem Essen die paar Schritte bis zu der Kirche mit dem bekannten Störtebekerturm. Das Fest ist schon im vollen Gange. Trachtengruppen führen Tänze vor, an dem sich auch die Touristen beteiligen können. Zwischendurch sorgen zwei lokale Musiker mit Gitarre und Handtrommel für Abwechslung. Nett ist es hier, aber leider ziemlich leer. Obwohl der Platz nicht besonders groß ist, ist er nur gut halb voll. Das nicht gerade schöne Wetter wird wohl einen Großteil dazu beitragen, dass die Künstlerinnen und Künstler ihr Können nur einem recht geringen Publikum präsentieren dürfen. Wirklich schade!



Gegen 22:30 machen auch wir dann Schluss für heute, und fahren zurück in unsere Unterkunft nach Ihlow. Morgen warten immerhin gut 26 Wanderkilometer auf uns, und somit der Großteil der Pilgerstrecke. Wir hoffen, dass das Wetter mitmacht, und wir möglichst trocken die einzelnen Stationen erwandern können.


 Samstag 

Ein wenig bin ich zugegebenermaßen schon gespannt: Zum ersten Mal werde ich pilgern. Natürlich ist das hier nicht der Jakobsweg, aber warum nicht klein anfangen? Früh am Morgen ist es jedoch zunächst mein Blick, der wandert, nämlich aus dem Fenster. Der schlechten Wettervorhersage zum Trotz ist es zwar grau, aber trocken, und ich werte das mal als gutes Zeichen. Und gut, sogar richtig gut, ist das Frühstück, das uns unsere Vermieterin auftischt. Wer hier nicht satt wird, der ist es selber schuld.

Nach dem Frühstück, es ist fast neun Uhr, laufen wir los. Der Himmel ist noch immer grau und es weht ein starker Wind, aber es ist trocken. Unser erstes Ziel ist wieder das Zisterzienserkloster, das wir gestern ja schon ausgiebig erkundet hatten. Dort ist der Start der Tour. Gut gelaunt wandern wir also zunächst durch den Ort, dann durch einen Wald, bis wir wieder vor dem imposanten Gebilde stehen.





Der Himmel ist immer noch ein wenig zugezogen, aber nach Dauerregen sieht das wirklich nicht aus. Im Gegenteil, ich habe sogar den Eindruck, dass es etwas heller und freundlicher geworden ist. Wir folgen dem offiziellen Weg, der durch ein Logo gekennzeichnet ist, dass ein Weihekreuz auf einen Stein verwendet.



Nachdem wir das Kloster Ihlow hinter uns gelassen haben, wandern wir zunächst ein ganzes Stück an der Straße entlang. Nur ein knapper Meter Wiese trennt uns von der Landstraße, auf der die Autos mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbei brausen. "Schön ist anders" denke ich bei mir, denn ich hatte mir so einen Pilgerweg doch viel beschaulicher vorgestellt. Vor allem leiser, denn die vielen Autos machen doch gehörigen Lärm. Dafür sind alle Menschen, denn wir begegnen, sehr freundlich. Egal, ob uns ein Fußgänger oder Fahrradfahrer entgegen kommt oder jemand in seinem Vorgarten steht, alle grüße, rufen "Moin", lächeln uns freundlich zu. Das entschädigt ein wenig für die Wanderung direkt an der Straße entlang.

Eine knappe halbe Stunde wandern wir so, und laufen dabei zwischen "Ludwigsdorf" und "Plaggefeld" hindurch, bis nach "Mümkeweg". Dort biegt der Weg dann nach rechts ab, und verlässt endlich die Straße. Nun führt er über Felder und Wiesen.



Hier gibt es viele große Flächen, auf denen Mais und Gras angebaut wird. Das wird dann als Futter für die Milchkühe verwendet. Wir laufen durch einen Ort namens "Fahne". Direkt dahin überqueren wir den "Ems-Jade-Kanal", an dem sich auch das örtliche Standesamt befindet.





Auf der anderen Seite des Kanals befindet sich dann auch schon "Westerende-Kirchloog". Die dortige Kirche mit ihrem einzeln stehenden Glockenturm ist nach dem Ihlower Kloster die erste Station auf unserem Pilgerweg. Wir freuen uns schon auf das innere dieses imposanten Gemäuers, und ich ziehe mein Pilgerbuch heraus, das ich tags zuvor in der Klostergaststätte in Ihlow gekauft habe. Darin sind alle Stationen des Weges beschrieben, und Bibeltexte, Gedanken und Geschichten abgedruckt. Und natürlich auch kurze Gebete.



Vor der Kirchentür werden wir von einem geschäftigen Herrn ganz in schwarz angesprochen:
"Seid Ihr Pilger?" fragt er uns freundlich. Wir nicken und erzählen ihm, dass wir an diesem Morgen in Ihlow gestartet sind und nun unsere erste Station erreicht haben. Leider entpuppt sich der freundliche Mann als Bestattungsunternehmer und erklärt uns, dass in der Kirche gleich eine Beerdigung stattfinden wird. Oh, das war wohl nichts mit Rast und Besinnung an dieser Station...

Aber da kann man nichts machen. Nur kurz sehen wir uns in der Kirche um. Der Mann vom Bestattungsinstitut weist uns noch auf eine zugemauerte Tür hin. Dort war früher der Eingang, und von außen ist auch heute noch eine Stück Eisen zu sehen, dass fest in der Wand verankert ist. Früher wurden dort Diebe "an den Pranger" gestellt. So konnten alle Kirchgänger den Verurteilten ins Auge gucken. Manche wurde auch bespuckt. Nach ein paar Tagen Pranger wurden die Verurteilten dann freigelassen, aber jeder im Ort hat gesehen, dass sie schuldig waren.





Als die ersten Trauernden eintreffen, ziehen wir uns diskret zurück. Durch den Ort folgen wir dem Weg bis hin zum "Ring-Kanal". Dieser ist 13 Km lang und wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, um das Wasser der umliegenden Moore in den Ems-Jade-Kanal zu leiten, der nach fünfjähriger Bauzeit zeitgleich fertig gestellt wurde. Die Sonne kommt jetzt zwischen den Wolken durch, und versetzt uns in eine Art Hochstimmung. So, genau so, macht das Pilgern Spaß.









Wir wandern eine Zeitlang am Kanal entlang, genießen das schöne Wetter, die Ruhe und die Aussichten rechts und links des Weges. Ich könnte noch lange so weiterlaufen, aber schließlich trifft der Kanal auf eine Brücke, und hier ist auch der dritte Punkt auf unserem Pilgerweg, gekennzeichnet durch eine Bank.



Hier kann sich der Wanderer ausruhen, und von diesem Angebot machen wir dankend Gebrauch. Nicht weil wir so erschöpft sind. Vielmehr lesen wir die Gedanken und Sätze, die in unserem Pilgerheft stehen. Die drehen sich um den Bau der verschiedenen Kanäle hier in der Gegend, also auch um "Ring-Kanal", an dem wir gerades sitzen. Lange ruhen wir hier nicht, sondern gehen recht bald weiter. Leider führt der Weg ab hier wieder an einer Straße entlang. Der Wind weht immer noch recht kräftig und wir setzen Fuß vor Fuß, froh, dass hier nicht allzu viel Autoverkehr herrscht. Irgendwann macht der Weg eine scharfe Abbiegung nach rechts und laut Karte befinden wir uns hier an der vierten Station auf dem Weg, der Wegegabelung Wiegboldsbur. Allerdings finden wir hier keinerlei Hinweis darauf, noch nicht einmal das Logo des Pilgerwegs. Unser Pilgerheft erzählt hier an diesem Punkt die Geschichte von Leibeigenen, die ihren Herren in den vergangenen Jahrhunderten dienen mussten. Nur kurz lasse ich meine Gedanken in die Vergangenheit reisen, denn wir bleiben hier und heute nicht allzu lange stehen, sondern wandern weiter der Karte nach, bis wir schließlich den Ort "Wiegboldsbur" selbst erreichen, einer der ältesten Gemeinden Ostfrieslands. Mittlerweile ist die Sonne wieder verschwunden, hat der starke Wind das Blau des Himmels durch viele Wolken ersetzt. Hier im Ort soll es laut Karte ein Cafe geben, das wir auch finden, welches aber leider geschlossen ist. Dafür finden wir eine historische Windmühle aus dem Jahr 1822, an der wir zwar keinen Kaffee und Kuchen bekommen, die dafür aber ein schönes Fotomotiv darstellt.





Anschließend gehen wir weiter durch den Ort bis zur Wibadi-Kirche. Sie ist die fünfte Station auf unserem Pilgerweg. Auch hier wurde, wie schon in "Westerende-Kirchloog", der Glockenturm nicht direkt an der Kirche gebaut, sondern steht etwas abseits für sich allein. Anscheinend ist das hier in Ostfriesland keine Seltenheit.





Wir umrunden zunächst das Gebäude, bevor wir das innere des Gotteshauses betreten. Dort ist es sehr still, ganz so, als ob sich ein weißes Laken, mit denen man die Möbel einer verlasseneren Wohnung abdeckt, über uns gelegt hätte. Wir bewundern insbesondere das Taufbecke, genießen aber auf die die Ruhe, die von diesem Raum ausgeht.





Draußen setzen wir uns dann auf eine der vielen Bänke, und machen eine kleine Pause. Wir plündern unsere Rücksäcke, essen und trinken, und dabei lese ich wieder in meinem Pilgerheft. Eine kleine Geschichte steht dort, die ich hier mal wiedergeben möchte:

    Warum der Schäfer jedes Wetter liebt
(Anthony de Mollo)

Ein Wanderer: "Wie wird das Wetter heute?"
Der Schäfer: "So, wie ich es gerne habe."
"Woher wisst ihr, dass das Wetter so sein wird, wie ihr es liebt?"
"Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: Das Wetter wird heute so, wie ich es mag."


   
Also, was das Wetter angeht, so kann ich dieser Einstellung durchaus folgen. Aber als grundsätzlicher Leitsatz für das Leben taugt diese kleine Geschichte meiner Meinung nach nicht. Einfach alles hinnehmen, was einem vorgesetzt wird? Kritiklos alles über sich ergehen lassen? Nein, das kann ich nicht gutheißen. Lieber aktiv sein und dem Leben eine selbstgewählte Richtung geben. Möglichkeiten dazu haben wir, also sollten wir die auch nutzen.

Nach dieser Pause machen wir uns wieder auf dem Weg, werfen dabei allerdings keinen genauen Blick auf die Karte. Und so wandern wir weiter an der Straße entlang, bis wir einen Ort namens "Bedekaspel" erreichen und dort endlich merken, dass wir vom Weg abgekommen sind. Mittlerweile haben auch die Wolken am Himmel zugenommen - gibt es etwas Regen? Wir nutzen diesen Umstand jedenfalls für eine weitere Pause. Bedekaspel liegt direkt am "Großem Meer", daher finden wir hier auch ein Cafe, das geöffnet hat. Wir bekommen einen Cappuccino mit Marzipangeschmack und sind uns einig, dass uns der nicht besonders schmeckt. Trotzdem war die Entscheidung zur Pause richtig, denn während wir innen sitzen, regnet es draußen. Nicht viel und auch nicht stark, aber es ist doch schöner, im trockenen zu sitzen, als durch den Regen zu laufen.

Zum Glück dauert der Regen nicht allzu lang, und so wandern wir bald darauf zurück nach Wiegoldsbur, und nehmen dort hinter der Kirche den richtigen Weg. Dieser ist schnurgerade und asphaltiert, aber Autos fahren hier zumindest heute nicht. Dafür wird der Himmel immer dunkler, und wir schauen mehr nach oben, als das wir auf die Landschaft achten, durch die wir wandern. Schade, denn eigentlich ist es hier recht schön.







Der Wind treibt nun dunklen Regenwolken wie trockenes Herbstlaub vor sich her, schichtet sie auf, und lässt den Himmel immer bedrohlicher aussehen. Mittlerweile sind wir überzeugt, dass gleich ein mächtiger Guss herunter kommen wird, aber es ist weit und breit nichts, wo wir uns unterstellen könnten. Also gehen wir weiter, machen Schritt für Schritt, setzen einen Fuß vor dem anderen, immer mit der vollkommen unbegründeten Hoffnung, doch verschont zu bleiben. Und dann ist er plötzlich da, der Regen. Der starke Wind lässt ihn von allen Seiten auf uns nieder prasseln. Innerhalb von wenigen Sekunden steht das Wasser auf den Wegen, kann gar nicht so schnell abfließen, wie es von oben wieder nachkommt. Ich bin froh, den Fotoapparat in einer Plastiktüte verstaut zu haben. So ist er geschützt gegen den Regen, und auch wenn es mir in den Finger juckt, ein Foto von diesem Unwetter zu machen, lasse ich die Kamera doch lieber trocken und geschützt in ihrer Tüte.

Wir haben zwar wasserabweisende Kleidung an, aber bei diesem Regen nutzt die auf Dauer nicht viel. Daher sind wir schon ziemlich durchnässt, als wir schließlich Georgsheil erreichen. Wir haben die Hoffnung, hier ein offenes Lokal zu finden, aber leider alles ist geschlossen. Wir flüchten uns zum Busbahnhof, müssen aber feststellen, dass der nächste Bus erst in zwei Stunden fahren wird. Der Regen ist zwar mittlerweile in ein feines Nieseln übergegangen, aber nass, wie wir sind, wollen wir nicht mehr weiter laufen. Und wofür hat man eigentlich ein Smartphone? Wir suchen im Internet nach einem Taxiunternehmen hier in der Nähe, und bestellen uns ein Taxi. Das bringt uns zu unserer Unterkunft nach Ihlow, wo wir duschen und uns trockenen Sachen anziehen. Mittlerweile ist es später Nachmittag, und wir fahren mit unserem Auto nach Aurich, um im dortigen Mexikanischen Restaurant den Tag zu beschließen. Beim Essen überlegen wir auch, ob wir Morgen die Wanderung in Georgsheil wieder aufnehmen sollen. Aber das werden wir vom Wetter abhängig machen.

Gegen 23:00 schließlich sind wir wieder in Ihlow in unserer Unterkunft. Ein wenig traurig bin ich schon, dass wir den Weg heute nicht wie geplant bis Marienhafe laufen konnten. So haben wir einige Stationen auf dem Pilgerweg verpasst: Die Brücke am Abelitz-Moordorf-Kanal; das Ehemaliges KZ in der Nähe der Kirche Engerhafe; sowie die Wilden äcker mit dem Gedenkstein zur Schlacht Anno 1427. Und natürlich Marienhafe selbst, mit seinem bekannten und weithin sichtbaren Störtebeker-Turm. Daher hoffe ich, dass wir morgen die Pilgertour in Georgsheil wieder aufnehmen können.


 Sonntag 

Der Himmel ist grau, die Sicht diesig, und sehr schnell verwerfen wir den Gedanken, die Tour von gestern fortzuführen. Zumal in der Beschreibung steht, dass der für heute geplante Streckenabschnitt noch mehr direkt an Straßen entlang führt. Also beratschlagen wir beim Frühstück, was wir stattdessen unternehmen wollen. Und beschließen, nach Norden zu fahren, also in die Stadt, die sowohl zum schlendern einlädt, als auch jede Menge Möglichkeiten zur Besichtigung bietet, falls das Wetter mal wieder Regen für uns bereit hält. Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen, verstauen alles im Auto, verabschieden uns von unserer Vermieterin, und starten dann in den heutigen Tag.

Norden ist leicht zu finden, da gut ausgeschildert, und auch vor Ort haben wir Glück bei der Parkplatzsuche: Direkt vor dem Marktplatz finden wir die letzte freie Lücke, die wir natürlich gerne nutzen. Beim Aussteigen bemerken wir, dass hier heute ein Trödelmarkt stattfindet. Wir blicken zum Himmel hinauf: Bleibt es wohl trocken? Der Wind spielt zwar Billard mit den Wolken, aber nach Regen sieht es nun nicht gerade aus. Also schlendern wir zunächst einmal über den Platz, und schauen uns an, was die Ostfriesen so zu verkaufen haben. Hier gibt es wirklich nur Trödel. Neue Ware, wie ich das von heimischen Märkten her kenne, sehe ich überhaupt nicht. Aber gerade das gefällt mir gut, und auch die Preise scheinen mir moderat. Nur genau das, was mich interessiert, übersteigt mit schöner Regelmäßigkeit dem, was ich zu bezahlen bereit bin. So kaufe ich mir nur zwei kleine Figuren, aber auch erst langen Zögern und noch längerem Verhandeln.

Als nächstes besuchen wir die direkt hier am Platz gelegene Ludgerikirche. Sie ist auch das Ziel des Pilgerweges Schola Dei. Wären wir also die ganze Strecke gelaufen, so hätten wir auch dann zum Abschluss diese Kirche besichtigen. Sie ist die größte mittelalterlich Kirche Ostfrieslands und dem heiligen Ludgeri geweiht, dem Apostel der Friesen und ersten Bischof von Münster. Ihr heutiges Aussehen hat sie in mehreren Bauabschnitten erlangt.



Besonders imposant sind der dreischiffige Hochchor mit seinem Chorumgang, sowie die Arp-Schnitger-Orgel, die größte und bedeutendste Orgel Ostfrieslands. Beides bildet sozusagen die Höhepunkte dieses Bauwerkes, das wirklich sehenswert ist. Wir jedenfalls können empirisch bezeugen, dass es eine wirklich schöne Kirche ist... :-)







Raus aus der Kirche und hinein in das Teemuseum. Das ist nur einen Steinwurf entfernt, und zeigt auf drei Etagen viele Exponate aus mehr als tausend jahren Teegeschichte. Dort nehmen wir einer äußerst interessanten Führung teil. Nicht nur über Tee wird hier erzählt, auch die Geschichte des Porzellans wird uns so ganz nebenbei näher gebracht, und zusätzlich auch die Entstehung von so manchem auch heute noch gängigen Sprichwortes. Eine kurzweilig und gut vorgetragene Führung, die ich mit bestem Gewissen weiterempfehlen kann.







Von Norden aus fahren wir dann noch einmal nach Ihlow zum Kloster. Das Wetter, das den ganzen Tag ein schneller Wechsel zwischen Sonne und Regen war, ist gerade recht schön, und wir steigen die Treppe hinauf auf die Aussichtsplattform. Von hier oben hat man einen schönen Blick auf das Umland. Aber auch hinab auf den Klostergarten.









Eine eigene Geschichte erzählt die Glocke, die hier oben auf dem Dachreiter hängt: 1947 fanden einige schlesische Heimatvertriebene eine Glocke im Watt in der Nähe von Wilhelmshaven, und nahmen sie mit in ihr Behelfslager. 1975 fand sie schließlich ihren Weg in die St. Hedwigs-Kirche in Hohenkirchen, wo sie bis zum Jahr 2007 läutete. Dann wurde St. Hedwig profaniert und die Glocke geriet in Vergessenheit.

2008 entdeckte sie zufällig der Vorsitzenden des Födervereins "Freunde der Klosterstätte Ihlow e.V.", und bat darum, sie im Dachreiter der Klosterstätte Ihlow aufhängen zu dürfen. Die Kirchengemeinde Schillig und das Bischöfliche Offizialat in Vechta stimmten zu, und so fand die Glocke aus dem Watt hier in Ihlow eine neue Heimat.

Damit ist die Geschichte allerdings noch nicht zu Ende: Im Frühjahr 2009 wurde sie nämlich genau von dieser Stelle gestohlen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Im September 2009 wurde daher eine Kopie angefertigt und hier auf gehangen.



Wir steigen nun die Treppe wieder hinab, und werfen noch einen letzten Blick auf Kloster und Garten. Dann gehen wir zum Parkplatz, setzen uns in das Auto, und fahren Richtung Heimat. Es ist schade, dass das Wetter nicht am ganzen Wochenende so gut und vor allem trocken war wie heute. Ich wäre gerne den Weg komplett gelaufen.





 Fazit (mit ein wenig Abstand): 

Was soll man sagen zu einer Wanderung, die man machen wollte, aber wegen zu starken Regen abbrechen musste? Natürlich, dass man es noch einmal versuchen möchte. Was sonst?

Aber will ich das wirklich? Will ich wieder rund die Hälfte des Wegs an und auf Straßen entlangwandern, den harten Asphalt unter den Sohlen? Ich weiß zwar, dass sich der Pilgerweg an den Wegen orientiert, den die Menschen auch vor hunderten von Jahren schon gegangen sind. Und da fuhren nun mal noch keine Autos, sondern kam lediglich mal ein Reiter oder eine Kutsche vorbei. Doch dieses Wissen nützt mir wenig, wenn heute PKWs und LKWs direkt neben mir vorbeirasen.

Ich bin der Meinung, die Ruhe und Besinnung des Pilgerns muss vom gesamten Weg ausgehen. Und nicht nur von einzelnen Punkten und Stationen. Daher komme ich nach Ostfriesland gern wieder, nur nicht zum Pilgern.

Einige Flyer und Infoblätter:



 Zum Seitenanfang 

Wer schreibt hier?

  1. Detlev, Jahrgang '61
  2. Motorradfahrer - Wanderer - Radfahrer
  3. Hobbyfotograf
  4. Unterwegs immer mit Kamera, Block und Stift "bewaffnet"
that's me

Mehr über mich findest Du hier.

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mir auf meinen Touren Notizen zu machen, mal mehr und mal weniger ausführlich. Diese "TourNotizen" kannst Du Dir auf den Seiten Deutschland und Europa ansehen.

Viel Spaß dabei!


Die schönsten Reisezitate

"Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben."

Nicht nur der berühmte deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt wusste, dass Reisen den Horizont erweitert :o)



Hier stelle ich einige Zitate über das Reisen vor, die mir besonders gut gefallen.



 
© www.tournotizen.de