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Wismar: Stipvisite an der Ostsee

 Samstag 

Es ist Mittag, als wir mit dem Zug in den Bahnhof von Wismar einfahren. Die Vorfreude bei mir ist groß, denn schon seit langem möchte ich die Hansestadt an der Ostsee besuchen, deren Altstadt im Jahre 2002 sogar in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen wurde. Und auch das Wetter spielt mit: Strahlender Sonnenschein begrüßt uns, ideale Voraussetzungen also für zwei schöne Tage an der Ostsee.

Bahnhof Wismar
Ankunft im kleinen Bahnhof von Wismar

Und das Glück ist weiter auf unsere Seite: Das Apartment, das wir gemietet haben, ist bereits frei und wir können es sofort beziehen. Lange halten wir uns dort aber nicht auf. Wir stellen nur kurz das Gepäck ab und schon sind wir wieder draußen und machen uns zu Fuß auf, die Altstadt mit den kleinen Gassen zu erkunden.

Tierische Begegnungen: "Die Schweinsbrücke"

Nur wenige Schritte von unserer Unterkunft entfernt, sozusagen "um die Ecke", befindet sich die Schweinsbrücke. Nein, das ist kein Schreibfehler, die Brücke heißt tatsächlich so. Ursprünglich kommt dieser Name vermutlich aus dem Mittelalter. über diese Brücke wurden früher die Schweine zum Marktplatz getrieben. Wo damals gemauerte Bogenbrücken standen, befinden sich heute nur noch vier Eckpfosten. Und auf jedem dieser vier Pfosten steht eine kleine Schweinefigur aus Bronze: Eins steht, ein weiteres sitzt, ein drittes suhlt sich auf dem Rücken und das vierte liegt auf dem Bauch.

Schweinsbrücke
Die "Schweinsbrücke" heißt wirklich so :o)

Schweinsbrücke
Schwein auf der "Schweinsbrücke"

Und da Schweine ja bekanntlich Glück bringen ("Schwein gehabt"), streicheln die Passanten, die hier vorbeigehen, einmal kurz mit der Hand über die Skulptur, in der Hoffnung, dass ein bisschen von dem Glück auch auf sie übergeht. Wer ein wenig genauer hinschaut, bemerkt die blanken Stellen auf den Skulpturen, die vom darüber streichen stammen.
Die Wismarer müssen glückliche Menschen sein...

Glück und Glaube

Wer sich nicht allein auf sein Glück verlassen möchte, kann sich gleich um die Ecke auch Beistand von ganz oben erbeten: Direkt an der Schweinsbrücke erhebt sich groß, mächtig und unübersehbar die Kirche St. Nikolai. Die dreischiffige Basilika, von 1381 bis 1487 als Kirche der Seefahrer und Fischer erbaut, dient heute der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Nikolai in der Propstei Wismar.

Die Kirche St. Nikolai
Die Kirche St. Nikolai

Und da sie schon von außen äußert imposant ist, gehen wir einfach mal hinein, um sie uns auch von innen anzusehen. Eintritt wird hier nicht verlangt, lediglich um eine Spende wird gebeten. Und dafür zücke ich doch, ehrlich gesagt, auch viel lieber das Portemonnaie.

Viel los ist hier drinnen nicht, nur wenige Menschen haben sich außer uns hier hinein "verirrt". Gleich im Eingangsbereich empfängt uns diese Ruhe, die so charakteristisch für Kirchen ist. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber die meisten Menschen flüstern, wenn sie durch die Kirchengänge gehen und sich dabei unterhalten. Bei mir ist es nicht anders, auch ich verfalle sofort in dieses leise sprechen. "Quer durch den Saal" ruft hier niemand.

Es gibt eine Menge zu sehen. Kirchenchor und -schiff wirken sehr groß, da sie nicht voneinander abgetrennt sind. Beim schlendern durch die Kirche entdecken wir Kanzel, Taufbecken, Orgel und verschiedene Altäre. Und da wir im Reformationsjahr sind, wird noch eine besondere Installation gezeigt. "Himmlische Luftballons - Geist-Tropfen - Leuchtkörper" heißt sie und soll die Gedanken und Inspirationen symbolisieren, die zwischen Himmel und Erde schweben. Nett gemacht, finde ich.

In der Kirche St. Nikolai
In der Kirche St. Nikolai

In der Kirche St. Nikolai In der Kirche St. Nikolai
In der Kirche St. Nikolai

In der Kirche St. Nikolai
In der Kirche St. Nikolai

In der Kirche St. Nikolai
"Himmlische Luftballons - Geist-Tropfen - Leuchtkörper": Installation in der Kirche St. Nikolai

Mit Sicherheit sehen wir nicht alles, was es hier zu entdecken gibt. Aber bereits der kleine Eindruck, den wir hier gewinnen, gefällt mir sehr. Die Kirche ist definitiv einen Besuch wert.

Wir verlassen die St. Nikolaikirche und folgen der "Grube" in Richtung Westen. "Grube", das hört sich nach einem dunklen, düsteren Gang an, ist aber ein regulierter Bach, der hier in Wismar quer durch die Innenstadt fließt und in die Ostsee mündet. Als er Mitte des 13. Jahrhunderts angelegt wurde, diente er zur Trink- und Brauchwasserversorgung der Wismarer Bürger. Außerdem wurde sein Wasser zum Löschen bei Bränden genutzt.

Unterwegs entlang der 'Grube'
Unterwegs entlang der "Grube"

Unterwegs entlang der 'Grube'
Unterwegs entlang der "Grube"

Mittlerweile hat die "Grube" eine umfangreiche Rekonstruktion hinter sich und gilt als einer der ältesten künstlichen Wasserläufe Deutschlands, der durch eine Stadt führen. Es ist durchaus sehr schön, hier entlang zu gehen. Die zumeist kleinen, schmalen Häuser geben einen netten Rahmen und auch das mir kaum noch bekannte Kopfsteinpflaster hat einen gewissen Charme. Zumindest für uns als Fußgänger. Die Auto- und Fahrradfahrer sehen das sicher anders.

Kurz bevor die "Grube" unter einer Straße hindurch in die Ostsee fließt, unterquert sie das wohl schrägste Gebäude der Stadt: Ein denkmalgeschützten Fachwerkhauses mit dem Namen "Gewölbe". Dieses Gebäude wurde Mitte des 17. Jahrhunderts errichtet und war ursprünglich Teil der Stadtbefestigung, die Wismar damals umgab. Hier testeten die "Weinherren" die im Hafen angelieferten Weine auf ihre Qualität. Klingt für manch einen jetzt wohl nach einem Traumjob :o) Später wurde hier zunächst Bier ausgeschenkt, anschließend dann eine Fischräucherei untergebracht. Was für die Bewohner der Stadt außerdem wichtig war: Die Grube wurde früher bei Stadtbränden genau hier am Gewölbe gestaut, so das genügend Wasser zum Löschen da war.

Das 'Gewölbe'
Ganz schön schräg: Das "Gewölbe"

Heute sind hier drei Ferienwohnungen eingerichtet. Leider konnte ich keinen Blick hineinwerfen. Ob von innen wohl auch alles so schief ist wie von außen? Ich glaube es eigentlich nicht. In Bezug auf die Lage allerdings bin ich eher skeptisch: Zwar liegt das Gewölbe in direkter Nähe zum Alten Hafen. Auf der Rückseite jedoch führt die vielbefahrene Straße "Am Hafen" vorbei, was nicht nur am Tag für Straßenlärm sorgt. Aber vielleicht schluckt eine gute Isolierung ja die Geräusche.

Genau diese Straße "Am Hafen" überqueren wir jetzt und stehen dann direkt am Meer. Hier beginnt der "Alte Hafen" und ganz stilecht stehen hier auch einige Fischbuden. Deren Anblick sorgt sofort für ein knurren in unseren Mägen. Also kaufen wir uns kurzentschlossen je ein Fischbrötchen, das wir von der Verkäuferin gemeinsam mit einem guten Rat ausgehändigt bekommen:
"Passt auf, das die Möwen Euch das Brötchen nicht klauen".
Ich schaue mich um und tatsächlich: Einige besonders große Exemplare von Möwen stehen in unmittelbarer Nähe und schauen mich an, als wollten sie sagen
"Gibst Du uns das freiwillig oder sollen wir es uns holen?"
Aber mein Hunger ist stärker als der Respekt vor diesen Riesenschnäbeln. Also beiße ich beherzt in das Brötchen und ... mmmh, lecker!

Der "Alte Hafen"

Brötchen kauend schlendern wir weiter auf einer Art Betonpier, der wie eine Landzunge in die Ostsee ragt. Links ist das Meer, rechts stehen zweigeschossige Häuser, in denen unten die typischen Geschäfte für Touristen und darüber im Obergeschoss Ferienwohnungen untergebracht sind. Im Hintergrund erheben sich zwei riesige, alte Betonklötze: Zum einem ist das der "Thormann-Speicher", der wegen der Sanierung der Backsteinfassade momentan eingerüstet ist. Er soll nach seiner Restaurierung als Bürogebäude genutzt werden. Zum anderen steht dort der "Ohlerich-Speicher". Von hier unten sieht die Spitze aus wie ausgebrannt. Auch bei ihm steht die zukünftige Verwendung bereits fest: Hier sollen Ferienapartments entstehen.

Viel schöner ist da doch der Blick nach links auf das Wasser: Hier liegen Fahrgastschiffe, die Ausflugs- bzw. Hafenrundfahrten anbieten, außerdem der historische Nachbau einer Kogge und ein Großsegler. Dazwischen tummeln sich einige kleinere Boote.

Im 'Alten Hafen'
Im "Alten Hafen"

Im 'Alten Hafen'
Im "Alten Hafen"

Weiter geradeaus steht das Baumhaus. In diesem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert waren früher die "Bohmschlüter" untergebracht. Die Aufgabe dieser Männer war es, nachts oder bei Gefahr die Einfahrt zum alten Hafen zu verschließen. Dazu wurde mittels eines Schlagbaumes eine Kette vor die Hafeneinfahrt gezogen.
Einfach, aber effektiv, würde ich mal sagen.

Baumhaus im 'Alten Hafen'
Baumhaus im "Alten Hafen"

Schwedenkopf vor dem Baumhaus
Schwedenkopf vor dem Baumhaus

Wir schlendern weiter und stehen bald darauf am Ende des Betonpiers. Hier geht der Blick hinaus auf das Meer. Rechterhand befindet sich der Seehafen Wismar, der ein wichtiger Standort für den Warenverkehr nach Skandinavien, das Baltikum und Russland ist. Links, im Westhafen, steht die riesige Halle der "MV Werften", in der Kreuzfahrtschiffe gebaut werden. Dahinter und von hier aus nicht zu sehen ist der Yachthafen, in dem Segler und Sportboote ihren Platz finden. Und geradeaus ... geradeaus schaut man auf das Meer. Es stehen einige Bänke hier und auf einer davon setzen wir uns und genießen die Seeluft und die Aussicht.

Im 'Alten Hafen'
Im "Alten Hafen"

Im 'Alten Hafen'
Im "Alten Hafen"

Im 'Alten Hafen'
Im "Alten Hafen"

Es ist sehr entspannt, hier zu sitzen und auf das Wasser zu schauen. Nicht zum ersten Mal geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich viel zu wenig Zeit am Meer verbringe. Damit meine ich nicht nur, am Hafen zu sitzen, sondern auch am Strand entlang zu spazieren oder einfach nur in den Dünen zu liegen und auf Himmel und Meer zu schauen.

Mittlerweile ist es später Nachmittag und ein wenig kühl geworden. Und außerdem melden sich unsere Mägen. So ein kleines Fischbrötchen reicht nun mal nicht für den ganzen Tag. Also verlassen wir schweren Herzens "unsere" Bank und gehen den Pier zurück Richtung Innenstadt. Wieder queren wir die Straße "Am Hafen", diesmal allerdings in anderer Richtung und an einer anderen Stelle und stehen dadurch vor dem "Wassertor". Im Mittelalter war es Teil der Stadtbefestigung und eines von insgesamt fünf großen Toren der Stadt. Und auch als Filmkulisse diente es schon: Der Filmklassiker "Nosferatu" wurde hier im Jahre 1921 gedreht.

Das 'Wassertor' Das 'Wassertor'
Das "Wassertor", Filmkulisse für den Filmklassiker "Nosferatu"

Uns zieht es in das nicht weit vom Wassertor entfernte Brauhaus. Hier wollen wir zu Abend essen und den Tag gemütlich ausklingen lassen. Allerdings haben wir nichts reserviert und ergattern gerade noch den letzten Tisch. Das Essen ist soweit in Ordnung, aber das "drumherum" gefällt uns nicht so wirklich. Es ist sehr laut und hektisch hier und die Kellner sind nicht gerade die Freundlichkeit in Person. Sehr schnell sind wir uns einig, morgen Abend woanders essen zu gehen.

Es ist bereits dunkel, als wir das Brauhaus verlassen und zu unserer Unterkunft gehen. Es war heute ein wirklich schöner Tag hier in Wismar. Auch für Morgen haben wir uns einiges vorgenommen, was wir unternehmen möchten. Die Wettervorhersagen sind zwar nicht besonders gut, aber egal wie es kommt, wir werden das Beste daraus machen.

Das Brauhaus
Tagesabschluss im Brauhaus


 Sonntag 

Es regnet. Dicke Tropfen klatschen gegen das Küchenfenster und wir beschließen, den Tag mit einem ausgiebigen Frühstück zu beginnen. Dafür gehen wir direkt um die Ecke in ein Café, dessen Name eine Menge verspricht: "Café Glücklich". Wir bekommen den letzten freien Tisch und lassen uns dann ein üppiges Frühstück schmecken. Wirklich rundum glücklich sind wir danach zwar nicht, aber immerhin ein wenig entschädigt für den regnerischen Start in den Tag.

Das "Welt-Erbe-Haus"

Und dieser Regen hat zwar nicht aufgehört, aber zumindest nachgelassen, als wir uns rundum gestärkt auf den Weg Richtung "Welt-Erbe-Haus" machen. Das im Juni 2014 eröffnete, zweigeschossige Haus befindet sich direkt neben der Touristeninformation. Hier kann man sich über das Thema "Welterbe" im Allgemeinen und zur Altstadt von Wismar im speziellen informieren. Aber auch die Geschichte des Hauses selbst wird ausführlich und informativ dargestellt. Immerhin stammt es aus der Zeit um 1350 und hat in den Jahrhunderten bis heute eine recht wechselvolle und auch interessante Geschichte. Als Highlight des Welt-Erbe-Hauses gilt der sogenannte "Tapetensaal" im Obergeschoss. In diesem Raum werden 64 Quadratmeter Wandfläche von wertvollen Papierdrucken bedeckt, die im Jahre 1823 in Paris hergestellt wurde. Kleine kuriose Geschichte dazu am Rande: Im Jahre 1995 (damals stand das Haus leer) rissen unbekannte Diebe die Tapete von den Wänden. Glücklicherweise wurden die Tapetenrollen nur kurze Zeit später wiedergefunden und anschließend aufwändig restauriert. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen.

Tapetensaal im 'Welt-Erbe-Haus'
-> Tapetensaal im "Welt-Erbe-Haus"

Tapetensaal im 'Welt-Erbe-Haus'
-> Tapetensaal im "Welt-Erbe-Haus"

Im 'Welt-Erbe-Haus'
-> Im "Welt-Erbe-Haus"

Nach dem Besuch des Welt-Erbe-Hauses starten wir zu unserem ganz persönlichen "Kirchgang": Mit der Heiligen-Geist-Kirche, St. Georgen und St. Marien stehen nun gleich drei Gotteshäuser auf unserem Programm. Und das nicht ohne Grund. Zum einem stehen diese Kirchen recht nahe beieinander. Zum anderen gehören St. Georgen und St. Marien gemeinsam mit St. Nikolai, die wir bereits gestern besucht haben, zu den drei monumentalen gotischen Sakralbauten der Altstadt von Wismar. Und egal, von welcher Seite und auf welcher Weise man sich der Stadt nähert, zumindest einen dieser drei Kirchtürme sieht man eigentlich immer.

Heiligen-Geist-Kirche
-> Die Heiligen-Geist-Kirche

Als erstes besuchen wir die Heiligen-Geist-Kirche. Diese präsentiert sich von außen eher unscheinbar. Das schlichte, einschiffige Gebäude aus Backstein ist bei weiten nicht so imposant wie zum Beispiel die St-Nikolai-Kirche, die wir gestern besucht haben. Trotzdem lohnt es sich, dem Inneren einen Besuch abzustatten. Ich habe kaum Zeit festzustellen, dass auch hier auf den Eintritt verzichtet und stattdessen um eine Spende gebeten wird. Gleich, nachdem ich die Kirche betreten habe, schlägt mich die kunstvoll bemalte Holzbalkendecke in ihren Bann. über die gesamte Länge und Breite werden dort alttestamentarische Szenen gezeigt. Im 17. Jahrhundert ist diese Malerei entstanden. Schon bemerkenswert, was für ein Aufwand damals betrieben wurde. Ich stelle mir vor, wie die Künstler, mit dem Rücken auf einem Podest liegend, sich Meter für Meter vorgearbeitet haben. Licht und Luft waren damals sicher nicht die besten hier drin. Was unsere heutige Arbeitssicherheit dazu wohl sagen würde?

Heiligen-Geist-Kirche
-> In der Heiligen-Geist-Kirche

Heiligen-Geist-Kirche
-> In der Heiligen-Geist-Kirche

Heiligen-Geist-Kirche
-> In der Heiligen-Geist-Kirche

Ursprünglich war die Heiligen-Geist-Kirche eine Spitalkirche, in der kranke und gebrechliche Menschen gepflegt und versorgt wurden. Erst als Ende des 16. Jahrhunderts die Fürsorge für die Kranken und Armen in das Dominikanerkloster verlegt wurde, begann man, das Haus ausschließlich für kirchliche Zwecke zu nutzen. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde der Innenraum, der bis dahin auch als Schlafraum gedient hatte, kirchlich umgestaltet.

Man kann aus dem Innenraum theoretisch auch in die Nebengebäude gelangen, aber die Türen sind versperrt. Was mich jedoch nicht weiter stört, denn es gibt in der kleinen Kirche auch so genug zu entdecken.

Das Gotteshaus der Landesherren und Handwerker: St. Georgen

Als wir die Heiligen-Geist-Kirche wieder verlassen, hat der Regen aufgehört. Zwar glänzt der Asphalt noch in einem silbrigen Nass, aber die Regenschirme der Passanten sind verschwunden. Am Himmel treibt der Wind die grauen Wolken vor sich her und lässt immer wieder kleine, blaue Flecken aufblitzen. Wir gehen nur zweimal um eine Häuserecke und stehen bereits nach wenigen Metern vor der Kirche St. Georgen. Und die ist mächtig groß. Ich muss den Kopf weit zurück in dem Nacken legen, um ganz oben das Ende sehen zu können.

St. Georgen
-> St. Georgen

Wann genau diese Kirche entstand, ist nicht bekannt, die älteste Urkunde stammt aus dem Jahre 1255. Sie war das Gotteshaus der Landesherren und der Handwerker von Wismar. Wirklich überrascht bin ich, als wir das innere betreten. Denn hier ist - nichts. Zumindest ist dies mein erster Eindruck. Es gibt keine Kirchenbänke, kein Kreuz, keine Orgel... All die für eine Kirche so typischen Dinge sind nicht zu sehen. Ein großer leerer Raum, gestützt auf dicken Säulen, empfängt uns. Ein wenig ungläubig gehe ich langsam voran, schaue nach rechts und nach links, kann aber keines dieser Dinge entdecken, die eine Kirche gemeinhin ausmachen. Ein kleiner Stand mit Infomaterial steht ganz am Rande und von dem Mitarbeiter, der dort steht, erfahre ich, dass die Kirche Ende des Zweiten Weltkrieges von zwei Luftminen getroffen und schwer beschädigt wurde. Vorher hatte man alles, was wertvoll war, wegen der befürchteten Luftangriffe ausgelagert und somit zunächst gerettet. In den Wirren der Nachkriegszeit ging das meiste davon jedoch verloren.

In den 1950er Jahren wurde ein neuer Dachstuhl über dem Hochschiff aufgebaut, dieser wurde allerdings nie eingedeckt und brach daher in späteren Jahren wieder in sich zusammen. Überhaupt wurde St. Georgen einfach seinem Schicksal überlassen und verfiel nach und nach. Wer weiß, was aus der Kirche geworden wäre, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte. Denn ab 1990 begann der Wiederaufbau der Georgenkirche und einen großem Anteil daran hatte die "Deutschen Stiftung Denkmalschutz", die immerhin rund 15 der benötigten 40 Millionen Euro bereitstellte.

St. Georgen
-> In der Kirche St. Georgen

Heute wird die Kirche als eine Mischung aus Gotteshaus und Kulturkirche genutzt. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Akustik hier die ideale Voraussetzung für musikalische Darbietungen ist. Dann werden hier drin eine Bühne aufgebaut und Stühle aufgestellt. Na ja, AC/DC werden ihr "hells bells" hier wohl nicht erklingen lassen (dürfen). Da bröckelt dann vermutlich nicht nur der mittelalterliche Putz :o)

St. Marien, die Kirche ohne Kirchenschiff

Wiederum nur einen Steinwurf von St. Georgen entfernt steht der Kirchturm von St. Marien. Und der steht ziemlich alleine da. Er ist nämlich tatsächlich das einzige, was von dieser Kirche noch steht. Nachdem das Kirchenschiff bei einem Bombenangriff im zweiten Weltkrieg stark beschädigt worden war, wurde es im Jahre 1960 gesprengt. "Wegen akuter Einsturzgefahr" sagten die einen, "aus politischen Gründen" sagten die anderen. Aber egal, ob aus dem einen oder anderen Grund, Tatsache ist, dass die bis dahin als einer der schönsten Backsteinkirchen im Norddeutschen Raum geltende Kirche seitdem unwiderruflich verloren ist. Nur der Turm ist stehen geblieben. 80 Meter hoch, lässt er die Dimension erahnen, die die Kirche einst hatte. Diese Dimension lässt sich auch an dem aufgemauerten Grundriss ablesen, der anstelle des gesprengten Kirchenschiffs errichtet wurde. Diese andeutungsweise hergestellten Außenwände des Kirchenschiffes kann man besonders gut bei einer Turmbesteigung erkennen. Der Blick von oben ist sicher schon allein den schwierigen Aufstieg wert. Gut zu Fuß sollte man allerdings schon sein, wenn man den Gang hinauf wagen möchte. Denn auch, wenn es nicht mehr so mühselig und gefährlich ist wie einst, als hier die Turmwächter ihren Arbeitsweg hatten: Einen Aufzug gibt es nicht und die 220 Stufen müssen erst einmal bewältigt werden.

Dafür entschädigt dann der Blick hinunter auf die Umgebung.

Kirchturm von St. Marien
-> Steht ziemlich einsam da: Der Kirchturm von St. Marien

Turmbesteigung von St. Marien
-> Turmbesteigung von St. Marien

Glocke von St. Marien
-> Glocke im Turm von St. Marien

Blick vom Kirchturm St. Marien
-> Blick vom Kirchturm St. Marien auf die Grundmauern des Kirchenschiffs

Blick vom Kirchturm St. Marien
-> Blick vom Kirchturm St. Marien auf den Marktplatz

Nach so viel Kultur ist es Zeit für eine Stärkung. Wir suchen ein Café und werden recht schnell fündig: In der "Conditorei Senf" ist es proppenvoll. Wir werten das als gutes Zeichen: Wenn hier so richtig viel los ist, dann gibt es auch leckeren Kuchen. Mal wieder ist es einer der letzten freien Tische, den wir bekommen. Die Auswahl ist sehr groß, so dass die Entscheidung schwerfällt. Aber wir werden nicht enttäuscht, sowohl Kuchen als auch Kaffee bzw. Cappuccino schmecken wirklich lecker. Auch, wenn der Name "Conditorei Senf" nicht gerade verführerisch klingt.

Conditorei in Wismar
-> Die Conditorei "Senf"

Der Marktpaltz von Wismar

Nach dieser Stärkung machen wir uns auf Richtung Marktplatz. Dieser ist mit seinen 100 mal 100 Metern einer der größten Marktplätze in ganz Norddeutschland. Heute ist Markttag und wir schlendern zwischen den Ständen hindurch, deren Angebot sich nicht sonderlich von dem bei uns zuhause unterscheidet. Am Rand des Platzes befindet sich die "Wismarer Wasserkunst", ein weiteres Wahrzeichen der Stadt. Sie ist ein zwölfeckige Gebäude aus dem Jahre 1602 und diente einst der Wasserversorgung der Stadt. Das Wasser dazu wurde aus den nahegelegenen Metelsdorfer Quellen mittels Holzrohre hierher transportiert. Später, als dies nicht mehr ausreichte, wurde ein Wehrturm aus der mittelalterlichen Befestigungsanlage der Stadt, der an einem Süßwasserzufluss lag, zu einem Wasserturm umgebaut und das Wasser von dort ebenfalls mit Holzrohren mit der Wasserkunst verbunden. Erst 1873 wurde dieses Prinzip durch modernere, leistungsfähigere Anlagen abgewechselt.

Es gibt einige Details zu entdecken, wenn man sich das Bauwerk einmal aus der Nähe anschaut. Und die Wismarer Bürger haben sich sicher schon daran gewöhnt, dass hier ständig Menschen mit Fotoapparaten rund um "ihre" Wasserkunst laufen ;-)

Marktplatz von Wismar
-> Der Marktplatz von Wismar

Wasserkunst in Wismar
-> Die Wasserkunst Wismar

Wasserkunst in Wismar
-> Die Wasserkunst Wismar

Wasserkunst in Wismar
-> Nix und Nixe an der Wasserkunst Wismar

Fast direkt neben der Wasserkunst steht das älteste Bürgerhaus der Stadt. Im Jahre 1380 wurde es erbaut und verfügt wie so viele andere Häuser hier in Wismar über einen treppenförmigen Giebelaufbau. Seinen Spitznamen "Alter Schwede" erhielt das Haus aber erst im 19. Jahrhundert, als die Stadt ihre Schwedenzeit aufarbeitete und ein "Schwedenkopf" in einem Portal oberhalb der Eingangstür eingearbeitet wurde. Nicht nur am Hafen sind also die Schwedenköpfe zu sehen, sondern auch hier mitten in der Stadt.

Alter Schwede Wismar
-> Das Haus "Alter Schwede" (das rote Gebäude rechts)

Alter Schwede Wismar
-> Schwedenkopf

Von hier aus haben wir auch einen schönen Blick auf das Rathaus der Stadt Wismar. Ein klassizistischer Bau aus dem Jahre 1819. Dort im Keller befindet sich eine Ausstellung mit verschiedenen Exponaten zur Stadtgeschichte. Wenn es jetzt gerade regnen würde, wäre es eine Alternative für uns. Aber es ist trocken, daher bleiben wir lieber draußen und entdecken als nächstes ein kleines Stadtrelief von Wismar, ca. 1,2 x1,2 Meter groß und auf einem ungefähr ein Meter hohen Sockel stehend. Darauf ist die Altstadt von Wismar dargestellt und wir suchen darauf die Punkte, an denen wir bereits waren. Und da wir nicht die einzigen sind, die das machen, ist es nicht einfach, ein Foto davon zu machen, ohne dass irgendwelche Finger zu sehen sind, die ständig auf eines der Gebäude zeigen.

Rathaus von Wismar
-> Das Rathaus von Wismar

Stadtrelief von Wismar
-> Stadtrelief

Wir wollen noch einmal zum Hafen, diesmal allerdings zum Westhafen. Dafür folgen wir im weiten Bogen der Fußgängerzone und kommen dabei an einem kleinen "Eine-Welt-Laden" vorbei, dem wir einen kurzen Besuch abstatten. Dann führt uns der Weg zum sogenannten "Zeughaus". Hier stand einst ein Gebäude, in dem das Waffenlager der Stadt untergebracht war, bevor es in einer Gewitternacht durch eine gewaltige Explosion zerstört wurde und ganze Teile der Stadt gleich mit verwüstete. Im Jahre 1701 wurde daraufhin dieses Zeughaus gebaut. Es diente als Waffenarsenal für die schwedische Garnison, die hier untergebracht war.

Zeughaus in Wismar
-> Das Zeughaus, ehemals Waffenarsenal, heute Stadtbücherei

Heute ist in dem Zeughaus die Stadtbibliothek von Wismar untergebracht, die wir uns aber nicht näher ansehen wollen. Daher begnügen wir uns mit dem Blick von außen und gehen weiter zum Westhafen. Hier stehen die Yachten und kleineren Segelboote und warten darauf, in See zu stechen. Viel los ist hier momentan allerdings nicht. Es ist Anfang Oktober und das wechselhafte Wetter ist wohl nicht die ideale Voraussetzung für einen entspannten Segeltörn auf der Ostsee.

Wismar Westhafen
-> Yachten und kleinere Segelboote im Westhafen

Wismar Westhafen
-> Im Westhafen

Unser Weg führt uns weiter an den Gebäuden des Technologie- & Gründerzentrum vorbei. Heute, am Wochenende, tummeln sich hier aber nur Jugendliche, die die Ruhe ausnutzen, um sich zu treffen. Ob es hier keine anderen Möglichkeiten für sie gibt? Recht bald haben wir den Westhafen umrundet und stehen an der Straße "Am Hafen", die die Altstadt von der Ostsee mit den Häfen trennt. Diesmal folgen wir der Straße Richtung Osten, denn wir wollen uns den Alten Wasserturm ansehen, der einst die Wasserkunst auf dem Marktplatz mit Wasser versorgte. Der Turm steht im Lindengarten, einem kleinen Park, durch den auch der Mühlenbach führt, der die "Grube" in Wismar mit Wasser speist. Weit ist es nicht bis dahin, wie Wismar überhaupt eine Stadt der kurzen Wege ist. Zumindest in der Altstadt. Der Turm selbst ist nichts Besonderes, viel schöner finde ich da doch den kleinen Park, an dessen Rand er steht und durch den wir anschließend noch ein kleines Stück gehen.

Alter Wasserturm Wismar
-> Der "Alte Wasserturm"

Lindengarten Wismar
-> Im Lindengarten

Allzu lange bleiben wir nicht im Lindengarten. Es ist mittlerweile früher Abend geworden. Höchste Zeit, etwas in den Magen zu bekommen. Und das wollen wir heute in der Gaststätte "Nikolaiblick". Die liegt, wie der Name schon sagt, ganz in der Nähe der Nikolaikirche. Es ist eigentlich eher eine urige Kneipe, in der man auch essen kann. überwiegend Einheimische scheinen hier zu verkehren, das Essen ist wirklich gut und wir sind sehr zufrieden, als wir später die Gaststätte wieder verlassen. Das hat uns viel besser gefallen als gestern im Brauhaus.

Gaststätte Nikolaiblick
-> Gaststätte Nikolaiblick

Zeit, Abschied zu nehmen

Es wird langsam dunkel und wir gehen noch einmal zum "Alten Hafen". Einen richtigen Sonnenuntergang über dem offenen Meer kann man hier zwar nicht erleben, aber hier hat es uns sehr gut gefallen, daher möchten wir hier auch unsere Zeit in Wismar ausklingen lassen. Noch einmal schlendern wir an den kleinen Geschäften und großen Speichern vorbei bis zur Spitze des Piers und schauen hinaus auf die Ostsee. Eine kurzweilige und entspannte Zeit war es gewesen, genau der richtige Ort für zwei abwechslungsreiche Tage. Und es waren nicht nur die "großen" Sehenswürdigkeiten, die mir wirklich gut gefallen haben. Wismar hat Charme, was sich auch in den kleinen Gassen und Geschäften zeigt, durch die wir auf unseren Wegen durch die Stadt gelaufen sind. Wirklich Sehens- und Erlebenswert.

Alten Hafen Wismar
-> Abends im "Alten Hafen"

Alten Hafen Wismar
-> Abends im "Alten Hafen"

Alten Hafen Wismar
-> Abends im "Alten Hafen"





Und hier noch einige Impressionen von Wismar, abseits der "großen Sehenswürdigkeiten":





































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Die schönsten Reisezitate

"Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben."

Nicht nur der berühmte deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt wusste, dass Reisen den Horizont erweitert :o)



Hier stelle ich einige Zitate über das Reisen vor, die mir besonders gut gefallen.



 
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