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Worpswede - vom Teufelsmoor zum Künstlerdorf

 Tag 1 

Wie kam es eigentlich dazu, dass ausgerechnet Worpswede zur "Künstlerkolonie" wurde? "Schuld" daran ist Emilie, genannt Mimi, Stolte. Sie war die Tochter des Worpsweder Kaufmanns Carl Otto Ferdinand Stolte und besuchte im Jahre 1884 ihre Tante in Düsseldorf. Dort lernte sie den Kunststudenten Fritz Mackensen kennen und schwärmte ihm so viel über die Schönheit ihres Heimatortes vor, dass der ihre Einladung zu einem Besuch annahm und gleich im September des gleichen Jahres in die Tat umsetzte.

Worpswede gefiel ihm auf Anhieb so gut, dass er zurück in Düsseldorf seine beiden Mitstudenten Hans am Ende und Otto Modersohn dazu überredete, sich nach dem Studium gemeinsam mit ihm in Worpswede niederzulassen und zu malen. Im Jahre 1889 setzten die drei Freunde ihren Plan in die Tat um, so dass dieses Jahr als das Gründungsjahr der Künstlerkolonie gilt. In den nächsten Jahren folgten weitere Künstler, wie Heinrich Vogeler, Paula Becker oder Clara Westhoff.

Mittelpunkt der Worpsweder Künstlerbewegung wurde der "Barkenhoff", den Heinrich Vogeler 1895 erwarb und im Jugendstil umbaute. Hier trafen sich die befreundeten Künstler einmal pro Woche zu Gesprächen und Pläne schmieden...





Schild Landkreis Osterholz Ich habe genug Zeit, mir die Geschichte von Worpswede im Landkreis Osterholz (bei Bremen) durch den Kopf gehen zu lassen. Für die 255 KM lange Anreise brauche ich heute fünfeinhalb Stunden. Die Autobahn scheint nur aus Baustellen zu bestehen. Die verantwortlichen Planer haben sich das wirklich gut ausgedacht, hier auf der A1 Richtung Norden eine Straßen- und Brückensanierung an die nächste zu reihen.
Ich vermute mal, sie selber brauchen hier momentan wohl nicht lang zufahren... ?


Es ist bereits früher Nachmittag, als ich meine Unterkunft in Worpswede erreiche. Kurzes einchecken, dann mache ich mich auch schon auf den Weg zu einem Spaziergang durch den Ort und die nähere Umgebung. Und dieser Gang startet in der Nähe der Touristeninformation und des großen Parkplatzes bei der Statue "Bonze des Humors". Diese lachende Buddha-Statue wurde von Bernhard Hoetger erschaffen, einem deutscher Bildhauer, Maler, Architekt und Kunsthandwerker, dessen Spuren nicht nur hier in Worpswede zu finden sind. So hat er unter anderem auch die Böttcherstraße in Bremen neu gestaltet. Der "Bonze des Humors" ist Teil eines Zyklus von Gegensatzpaaren, mit denen Bernhard Hoetger die "Licht- und Schattenseiten" des Menschen darstellen wollte. Wobei der lachenden Buddha eindeutig zur Lichtseite gehört.

Bonze des Humors
Der "Bonze des Humors" von Bernhard Hoetger

Nur wenige Schritte von der Statue entfernt befindet sich das "Café Worpswede". Ursprünglich war es ein Café: und Restaurant, in den 1970er Jahren wurde ein Hotel angeschlossen. Auch dieses Haus ist ein Werk von Bernhard Hoetger, der sich hier an keinen Baustil hielt und einfach "frei Schnauze" ohne richtige Bauzeichnungen und ohne rechte Winkel baute. Das brachte dem Haus bei den Worpswedern seinen Spitznamen "Café Verrückt" ein.

Café Worpswede
Das "Café Worpswede" von vorne ...

Café Worpswede
... und von hinten.

Hier direkt nebenan befindet sich auch die "Große Kunstschau Worpswede", in der in einer Dauerausstellung Bildern von Worpsweder Künstlern gezeigt wird. Dass sehe ich mir jetzt aber nur von außen an. Stattdessen gehe ich weiter und erreiche nach einem kurzen Fußmarsch das Wohnhaus des Schriftsteller Edwin Koenemann, der es im Jahre 1926 erbaute und "Glockenhaus" nannte. Die Bewohner von Worpswede tauften es aber aufgrund seiner ungewöhnlichen Form "Käseglocke". In dem Haus wird heute das Lebensumfeld von Edwin Koenemanns gezeigt und soll auch von innen sehr interessant sein, hat aber leider es bereits geschlossen.

Käseglocke Worpswede
Die "Käseglocke", Wohnhaus des Schriftsteller Edwin Koenemann

Von der "Käseglocke" aus führt der Weg ein Stück weit durch den Wald und zweigt dann ab zum Barkenhoff. Dieser ehemalige Bauernhof wurde 1895 von Heinrich Vogeler gekauft. Vogeler war Maler, Grafiker, Pädagoge, Schriftsteller und Designer und baute den Barkenhoff zu einem wahren Schmuckstück um. Dabei kümmerte er sich nicht nur um das Haus und den Garten. Er entwarf auch einen Teil der Möbel und sogar die Tapeten. So erschuf er sich hier sozusagen seine eigene Welt.

Barkenhoff Worpswede
Der Barkenhoff, Wohnhaus von Heinrich Vogeler

Barkenhoff Worpswede
Blick vom Barkenhoff in den Garten

Der Barkenhoff entwickelte sich recht schnell zum Mittelpunkt der Worpsweder Künstlerbewegung. Heute dient er als Museum und auch für Ausstellungen wird er genutzt. Daher freue ich mich, dass er noch geöffnet hat. Leider erfahre ich erst nach dem Kauf der Eintrittskarte, dass das Fotografieren hier verboten ist, auch ohne Blitz. Nicht nur deswegen bin ich ein wenig enttäuscht. So gut, wie mir der Hof selbst mit seinem Garten gefällt, so wenig kann ich mit dem inneren des Gebäudes anfangen. Die hier ausgestellten Bilder sprechen mich nicht an, daher dauert mein Besuch auch nicht allzu lange.

Vom Barkenhoff aus gehe ich ein Stück durch den Wald zurück, folge einer wenig befahrenen Straße und gehe dann am Waldrand entlang einem Feldweg den Weyerberg hinauf zum Niedersachsenstein. Das ist ein 18 Meter hoher Gedenkstein, der an die gefallenen Soldaten aus dem 1. Weltkrieg erinnern soll. Schöpfer dieses Monument war im Jahre 1922 Bernhard Hoetger, den wir ja weiter oben bereits kennen gelernt haben. Unumstritten war dieses Denkmal allerdings seinerzeit nicht. In einer Zeit, in der Lebensmittel knapp waren, hätten viele das Geld, das dafür ausgegeben wurde, lieber für die Bekämpfung der Armut investiert.

Niedersachsenstein Worpswede
Gedenkstätte Niedersachsenstein

Niedersachsenstein Worpswede
Gedenkstätte Niedersachsenstein

Von diesem "Ungetüm" aus führt mich der Weg zurück in den Ort. Ein schöner Spaziergang war das, der sehr gut in einem Infoblatt beschrieben wird, der in der Touristeninformation zu bekommen ist.

Mein erster Tag in Worpswede war leider kürzer als gedacht. Der Stau auf der A1 sei Dank. Den Tag lasse ich dann mit einem guten Abendessen ausklingen. Und freue mich dabei schon auf Morgen.


 Tag 2 

Das Frühstück war gut, das Wetter ist es auch (naja, zumindest ist es trocken) und so schlendere ich gut gelaunt über die Bergstraße. Das ist sozusagen die Flaniermeile hier in Worpswede, an der sich die meisten Geschäfte, Galerien und Cafés bzw. Restaurants befinden. Wenn ich mir die Öffnungszeiten hier so ansehe, scheint es den Inhabern gar nicht so schlecht zu gehen. Die meisten der Galerien und Geschäfte öffnen erst um 11:00 Uhr und schließen bereits um 18:00 Uhr. Was für ein Gegensatz zu den Öffnungszeiten bei uns, die teilweise von 6:00 bis 22:00 Uhr dauern.

Es ist recht früh, die Geschäfte sind noch geschlossen, daher spaziere ich weiter bis nach "Alt-Worpswede". Dies ist der ehemalige Stadtkern des Ortes, der sich um mehrere große Höfe gebildet hat. Heute werden diese Höfe zumeist nicht mehr bewirtschaftet und für andere Dinge genutzt. Zum Beispiel als Rathaus. Und direkt hier findet heute anscheinend ein Fotokursus statt. Auffallend viele Menschen laufen mit Kameras herum, an denen wahre Ungetüme von Objektiven hängen. Und machen dabei Fotos, was die Speicherkarte hergibt. Na, da schließe ich mich doch an und knipse auch mal das Rathausgebäude und vor allem den wirklich schönen Bauerngarten davor.

Rathaus Worpswede
Rathaus in Alt-Worpswede

Rathaus Worpswede
Bauerngarten am Worpsweder Rathaus

Da ich Morgen im Rahmen einer Stadtführung ganz bestimmt noch einmal hierherkommen werde, gehe ich jetzt durch die Bergstraße zurück zum Hotel. Unterwegs gönne ich mir ein Eis auf die Hand. Vom Hotel aus fahre ich anschließend mit dem Auto nach "Neu-Helgoland". Auf diesem kleinen Gebiet am Rande von Worpswede, direkt an dem Flüsschen "Hamme" gelegen, befinden sich ein Campingplatz, ein Restaurant und der Hammehafen Worpswede, in dem die Adolphsdorfer Torfschiffer Zuhause sind. Bei aller (verständlichen) Begeisterung für die Kunst wird leicht vergessen, dass Worpswede bis zur "Eroberung" durch die Künstler (und auch noch einige Jahre danach) ein Moorgebiet war, in dem die Menschen mit dem Stechen und dem Verkauf von Torf ihr mehr als karges Auskommen hatten. Ab ca. 1752 bis in die 1920er Jahre wurde der gestochene Torf auf dem Wasserweg, also auf dem Flüsschen Hamme, nach Bremen gebracht und dort verkauft. Dafür wurden die "Torfkähne" genutzt. Die Adolphsdorfer Torfschiffer haben Mitte der 1980er Jahre damit begonnen, an diese alte Tradition zu erinnern. Im Jahre 1984 wurde der erste Originalnachbau eines solchen Torfkahns ins Wasser gesetzt und die ersten Fahrten damit gemacht. Mit dem Bau weiterer Schiffe entwickelte sich diese Tour nach und nach immer stärker als Touristenmagnet und auch ich habe heute eine Fahrt mit so einem Kahn gebucht. Am frühen Nachmittag soll es losgehen. Bis dahin habe ich aber noch etwas Zeit und sehe ich mich solange auf dem Gelände ein wenig um. Recht idyllisch ist es hier, der kleine Spaziergang macht mir richtig Spaß.

Neu-Helgoland
Die kleine Bucht mit Sandstrand bei "Neu-Helgoland"

Neu-Helgoland
Blick auf die Hamme

Neu-Helgoland
Der neun Meter hohe Aussichtsturm Neu-Helgoland

Neu-Helgoland
Auch hier gibt es Kunst zu sehen

Ein wenig habe ich nach meinem kleinen Rundgang noch Zeit, daher setze ich mich in den Außenbereich des kleinen Imbiss des Campingplatzes und bestelle mir Tee und Kuchen. Dabei lese ich, dass man die hiesige Gaststätte, die heutige "Hamme Hütte", ursprünglich "Neu-Kamerun" nannte. Als 1890 Sansibar mit den Engländern gegen die Insel Helgoland getauscht wurde, haben die Kaisertreuen Bürger sogleich den Namen der Gaststätte angepasst.

Ich habe keine Ahnung, wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte ist. Im Vorfeld der Tour habe ich nämlich auch gelesen, dass die Gaststätte vom Weyerberg aus gesehen bei Hochwasser wie der Helgoländer Felsen aus den Niederungen herausragen soll. Aber letztendlich ist es mir egal, woher der Name kommt. Mir ist in erster Linie wichtig, dass es mir hier gefällt.

Mit dem Torfkahn auf der Hamme

Bei meiner Forschung nach dem Namensursprung habe ich ein wenig die Zeit vergessen und muss mich jetzt beeilen, um pünktlich zur Abfahrt des Torfkahns in dem kleinen Hammehafen zu sein. Dort angekommen, bin ich doch sehr überrascht: Sechs Boote liegen hier und alle sind bereits gut gefüllt mit Touristen. Ich werde einem der Kähne zugewiesen und ein wenig übermotiviert springe ich von Land auf das kleine Boot, was ein heftiges schlingern und schaukeln zur Folge hat. So heftig, dass einige meiner Mitfahrerinnen ängstlich aufschreien und alle mich erschrocken ansehen.
"Nicht so stürmisch, junger Mann" ruft Jochen, unserer Bootsführer vom Steg aus und schwingt sich dann wesentlich eleganter an Bord als ich. Ein wenig verlegen setze ich mich auf die schmale Sitzbank. Während Jochen eine kurze Sicherheitseinweisung gibt, schaue ich mich um. Circa zehn Meter lang ist das Boot, dabei wohl knapp zwei Meter breit. Mit mir sind wir 18 Gäste auf dem Kahn, plus Bootsführer Jochen. Viel mehr Platz ist hier auch nicht. Wir Touristen sitzen uns in zwei Reihen gegenüber, zwischen uns, auf dem Boden, liegt der Mast.

Auf einem Torfkahn in Worpswede
Es ist eng auf dem Kahn

Jochen hat mittlerweile seine Einführung beendet und wir legen ab. Aus dem Hafen hinaus fahren wir auf die Hamme. Angetrieben werden die Boote heute durch Elektromotoren. Die Torfkähne haben zwar ein Segel, das wir später auch noch hissen werden. Aber der Wind ist zu schwach, um ohne Motorunterstützung wirklich von der Stelle zu kommen. Früher, so erklärt uns Jochen, mussten die Torfstecher die Boote "staken". Dabei wird eine mehrere Meter lange Stange immer wieder in den Grund des Flusses gedrückt und sich dann "abgestoßen". Dieses aufwendige und kraftraubende Verfahren war Alltag für die Bootsführer, da der Wind selten ausreichte, um bis nach Bremen und wieder zurück zukommen. Da haben wir es heute zum Glück viel einfacher.

Während wir auf der Hamme dahingleiten, erzählt uns Jochen Geschichten aus der alten Zeit und erklärt, was wir rechts und links des Flusses alles so sehen können. Er macht das sehr routiniert, man merkt, dass dies nicht seine erste Tour mit Touristen ist.

Bootsfahrt auf der Hamme
Blick vom Boot an Land

Bootsfahrt auf der Hamme
Blick vom Boot an Land

Nach ungefähr einer halben Stunde stellt Jochen den sechs Meter langen Mast auf und hisst das Segel. "Luggersegel" wird das genannt und ist zwölf qm groß. Wir haben zwar kaum Wind und das Segel ist eigentlich nur "Show", aber es ist ein schöner Anblick. Wir segeln momentan mit drei Booten nahe beieinander und das sieht wirklich sehr gut aus. Ich kann mir vorstellen, welch ein prachtvolles Bild es sein muss, wenn alle drei Jahre zu Saisonbeginn die "Torfkahn-Armada" stattfindet. Dann treffen sich an einem Samstagmorgen fast alle Boote und fahren gleichzeitig auf der Hamme. Mittlerweile gibt es fast zwanzig dieser Torfkähne. Wirklich eine 1A Touristenattraktion.

Bootsfahrt auf der Hamme
Mit gehissten Segeln auf der Hamme

Bootsfahrt auf der Hamme
Unser Bootsführer Jochen hat alles im Griff :o)

Neunzig Minuten dauert unsere Fahrt, die im Nu vergeht. Auch dank unseres Bootsführers Jochen, der einige kurzweilige Anekdoten zu erzählen weiß. Zurück im Hafen warten schon die nächsten Touristen darauf, dass sie auf die Boot dürfen. Mittlerweile hat es sich bewölkt und die Wolken sehen so aus, als wollten sie gleich ihr Wasser vergießen. Daher bin ich nicht böse darum, die Fahrt bereits hinter mir zu haben.

In den Sommermonaten kann diese Schiffstour übrigens noch mit einer Fahrt mit dem Moorexpress kombiniert werden, allerdings nur an den Wochenenden. Der Moorexpress ist ein Zug, der zwischen Bremen und Stade verkehrt und dabei auch in Worpswede Halt macht. Ich nehme mir vor, einen nächsten Besuch hier in Worpswede auf das Wochenende zu legen und diese Fahrt dann nachzuholen.

Statt mit dem Zug fahre ich mit meinem Auto zurück Richtung Dorf. Dabei komme ich auch an der Worpsweder Windmühle vorbei. Ursprünglich war es eine Bockwindmühle, die aber im Jahre 1838 durch einen Erd- und Wallholländer ersetzt wurde. Sie ist heute noch voll funktionstüchtig und wird seit 1985 von dem Verein "Freunde Worpswedes e.V." betrieben. Ich habe die Mühle bereits auf einigen Bildern der Worpsweder Künstler gesehen. Aber ich finde, auch als Fotomotiv macht sie sich recht gut ;-)

Windmühle Worpswede
Die Windmühle von Worpswede

Von der Mühle aus mache ich noch einen Abstecher zum Bahnhof. Als die Eisenbahn im Jahre 1910 nach Worpswede kam, setzten sich die Worpsweder Künstler für eine landschaftsgerechten Gestaltung der Bahnhöfe ein. Daher erhielt der zu der Zeit schon recht renommierte Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler (der mit dem Barkenhoff) den Auftrag zur Erstellung des Bahnhofsgebäudes. Der entwarf sowohl das Gebäude als auch die Innenausstattung. Heute beherbergt das Gebäude ein Restaurant, das heute leider noch geschlossen ist. Daher kann ich mir den Bahnhof nur von außen ansehen. Schade, denn es sollen auch noch einige der von Vogeler entworfenen Originalmöbel vorhanden sein.

Bahnhof Worpswede
Der Bahnhof von Worpswede

Bahnhof Worpswede
Der Bahnhof von Worpswede

Ich fahre zurück zum Hotel, stelle das Auto ab und gehe dann zu Fuß wieder zur Bergstraße. Dort suche ich mir ein Lokal, in dem ich Abend zu esse und meinen zweiten Tag in Worpswede ausklingen lasse.


 Tag 3 

Wie es aussieht habe ich wieder Glück mit dem Wetter. Die Sonne scheint bereits, als ich mir im Hotel das Frühstück schmecken lasse. Das ist mir ganz recht, denn um 11:00 Uhr nehme ich an einer Stadtführung teil und das macht bei gutem Wetter auf jeden Fall mehr Spaß als bei Regen.

Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, spaziere ich über die Hembergstraße und die Findorffstraße. Diese beiden viel befahrenen Straßen laufen fast parallel zur Bergstraße und dort befinden sich ebenfalls Geschäfte, Galerien und Restaurants. Ich blicke in Schaufenster und auf Speisekarten, biege dann ab in die Bergstraße und erreiche um kurz vor elf Uhr die Touristeninformation. Dort startet der Stadtrundgang.

Unser erste Ziel ist das Café Worpswede. Da ich mich gestern hier bereits umgesehen habe, mache ich nicht wie die meisten anderen Fotos, sondern höre unserer Stadtführerin zu. Neues erfahre ich von ihr aber kaum. Danach gehen wir zurück zur Bergstraße, folgen ihr ein Stück weit, biegen dann rechts in einen kleinen Weg ab, der uns zur Findorffstraße führt. Dort steht das Kaufhaus Stolte. Mit seiner fast 200-jährigen Tradition ist es das älteste Geschäft hier im Ort. Hier lebte Mimi Stolte, die den Kunststudenten Fritz Mackensen nach Worpswede eingeladen hatte. Neben der Eingangstür befindet sich eine Tafel mit dem Porträt Mackensens und einem kleinen Dankestext. Das hat der Künstler selbst gespendet, als Dank, dass die Kaufmannsfamilie ihn hier aufgenommen hatte.

Kaufhaus Stolte
Das Kaufhaus Stolte

Kaufhaus Stolte
Gedenktafel am Kaufhaus Stolte

Heute ist hier übrigens ein Bioladen untergebracht, so dass die Aussichten gut sind, dass dieses Geschäft auch die 200-Jahre-Marke knacken wird.

Wir überqueren die Straße und gehen weiter zum Rathaus. Auch hier war ich ja gestern bereits, so dass ich nicht wie die anderen Haus und Garten fotografiere. Dafür erfahre ich, wie die anderen Häuser rund um den alten Ortskern genutzt werden, nämlich zumeist als Veranstaltungsräume und Hotels. Aber auch Ateliers gibt es hier, in denen man Kunst kaufen oder an Kunstseminaren teilnehmen kann.

Wir verlassen Alt-Worpswede wieder Richtung Bergstraße, überqueren dafür zunächst die Hembergstraße, steigen einige Steinstufen hinauf und stehen dann vor der Zionskirche mit dem dahinter liegenden Friedhof. Die Kirche wurde Mitte des 18. Jahrhundert erbaut und war bei den Worpsweder Malern stets ein begehrtes Motiv. Auch von innen ist sie durchaus sehenswert. Mir gefällt besonders die Orgel, die zwar nicht mehr im Ursprung erhalten ist, aber 2011/12 in Anlehnung an das Original rekonstruiert wurde.

Und noch eine weitere Besonderheit kann man hier finden: Im Jahre 1900 läuteten die Freundinnen Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff aus Jux heraus die Kirchenglocken. Das sorgte für große Aufruhr im Dorf, da es als Feueralarm missdeutet wurde. Zur Strafe wurden die beiden Kunstschülerinnen dazu "verurteilt", die Kirche mit Malereien zu verzieren. Und so sind heute unter der Empordecke Engelsputten und auf den Säulen der Emporen Blumenornamente zu finden. Welche andere Kirche kann das schon vorweisen?

Zionskirche
Zionskirche mit Friedhof

Zionskirche
Im inneren der Zionskirche

Zionskirche
Im inneren der Zionskirche

Zionskirche
Blumenornamente auf den Säulen der Emporen, gemalt von Paula Modersohn-Becker

Der zur Zionskirche gehörende Friedhof ist aufgrund seiner schönen Gestaltung auch einen Besuch wert. Hier liegen ungefähr 80 bedeutende Künstler begraben, unter ihnen auch Fritz Mackensen und Paula Modersohn-Becker. Insbesondere das von Bernhard Hoetger geschaffene Grabmal für die früh verstorbene Malerin Paula Modersohn-Becker ist quasi eine Touristenattraktion. Da ich auf Friedhöfen nicht gerne fotografiere, zeige ich hier auch keine Bilder davon. Wer sich aber in Worpswede die Zionskirche ansieht, sollte auf jeden Fall auch einen Spaziergang über den Friedhof machen.

Unser Rundgang geht weiter, führt aus dem Ort heraus und ein Stück den Weyersberg hinauf. Von hier oben wird deutlich, wie grün Worpswede und seine Umgebung ist. Viele Bäume sind zu sehen. Das war nicht immer so. Die Aussicht, die Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn von hier hatten, als sie nach Worpswede kamen, sah ganz anders aus: Weite Flächen ohne Bäume, nur wenig Sträucher und viel Moor, so präsentierte sich Worpswede noch zu Ende des 19. Jahrhunderts. Wer weiß, ob die Künstler sich hier auch niedergelassen hätten, wenn die Umgebung schon damals das heute Aussehen gehabt hätte.

Zum Abschluss unseres Stadtrundgangs kehren wir zurück in die Hembergstraße und besuchen das "Museum am Modersohn-Haus". Dies ist das ehemalige Wohnhaus der Eheleute Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker. Neben einigen originalem Mobiliar und verschiedenen Werken des Künstlerpaares werden auch Bilder von anderen Worpsweder Malern der ersten Generation gezeigt. Eine Ausstellung, die mir wirklich gut gefällt.

Museum am Modersohn-Haus
Eingang zum "Museum am Modersohn-Haus"

Museum am Modersohn-Haus
Ausstellungsraum

Museum am Modersohn-Haus
Das Gemälde "Torfsegler auf der Hamme" von Hans am Ende

Nach dieser recht interessanten Führung gehe ich in eine in der Nähe gelegene Eisdiele und gönne mir einen großen Eisbecher sowie einen Cappuccino. Und lasse dabei das bisher gehörte und gesehene für mich selbst Revue passieren. Es war sicher eine aufregende Zeit für die Künstler, insbesondere für die ersten, die hier nach Worpswede gekommen sind. Zu sehen, wie das eigene Renommee und der eigene Bekanntheitsgrad auch andere Künstler hierher lockte, muss ein schönes Gefühl gewesen sein. Und immerhin hält dieser Ruf bis heute an: Aktuell sind noch mehr als 130 Künstler und Kunsthandwerker hier ansässig und die ziehen heute andere nationale und internationale Gastkünstler an. So trägt Worpswede den Beinamen "Künstlerdorf" immer noch zu recht.

Das "Haus im Schluh"

Frisch gestärkt mache ich mich auf zu der nächsten Station meines Kurzbesuchs. Das "Haus im Schluh" möchte ich mir ansehen. Dieses liegt ein wenig außerhalb des Dorfes, ist aber trotzdem gut zu Fuß erreichbar. Eigentlich müsste es "Häuser" im Schluh heißen, denn es sind drei Gebäude, die reetgedeckt und ein wenig versteckt hinter Bäumen und hohen Büschen liegen. Seine Geschichte ist nicht nur für die damalige Zeit ein wenig kurios:
Von Heinrich Vogeler war ja hier schon mehrfach die Rede. Er heiratete die aus Worpswede stammende Martha Schröder, die zuvor lange Zeit sein Lieblingsmodel war. Die beiden hatten drei Töchter und lebten gemeinsam auf dem Barkenhoff. Doch im Laufe der Jahre kriselte ihre Ehe. Heinrich Vogeler begeisterte sich mehr und mehr für den Kommunismus. Als er den Barkenhoff in eine Arbeitsschule nach sowjetischem Vorbild umwandelte, verließ Martha ihn. Sie kaufte ein Stück Land im Schluh, ließ eine Moorkate aus dem Moordorf Lüningsee abbauen und anschließend auf ihrem Grund wieder neu errichten. Dorthin zog sie dann mit den drei Töchtern und ihrem neuen Freund Ludwig Bäumer. Heinrich Vogeler unterstütze sie finanziell bei diesem Hausumzug und auch bei dem folgenden Umbau.

Einige Jahre später, im Jahre 1937, wurde ein weiteres Haus in den Schluh versetzt, in dem eine Handweberei für die Tochter Bettina eingerichtet wurde. Heute steht dort noch ein drittes Gebäude, in dem eine Gästepension untergebracht ist. Wohnhaus und Handweberei sind mittlerweile Museen. Die Werke Heinrich Vogelers werden dort gemeinsam mit Originalinventar aus dem Barkenhoff ausgestellt.

Haus im Schluh
Ein wenig abseits liegt "Das Haus im Schluh"

Haus im Schluh
Das Haus im Schluh

Mir hat die Ausstellung sehr gut gefallen, nur leider ist auch hier das fotografieren absolut verboten. Filmkameras in den Räumen überwachen den Besucher ständig. Ich finde das nicht nur sehr schade, sondern kann es auch absolut nicht verstehen. Was ist gegen ein Erinnerungsfoto aus einem Museum einzuwenden?

Im Teufelsmoor

Es ist noch früher Nachmittag und das Wetter ist recht gut. Also setze ich mich in mein Auto und fahre raus aus Worpswede. Ich möchte ins Teufelsmoor. Der Name klingt spannend und auf der Landkarte wird ein Parkplatz mitten in diesem Gebiet angezeigt. Die Fahrzeit dahin ist recht kurz. Das Teufelsmoor erstreckt sich über eine Fläche von rund 500 qkm und Worpswede liegt fast genau in seinem Zentrum. Wer hier allerdings eine dunkle und sumpfige Landschaft erwartet, der kommt um gut 270 Jahre zu spät. Früher war dies eine feuchte und kalte Gegend. Um 1750 begannen die Menschen mit der Kolonisation dieser Region. Sie legten ein umfangreiches Entwässerungsnetz an, dessen größten und breitesten Hauptentwässerungsgräben gleichzeitig als Schifffahrtskanäle dienten. Darauf wurde mit Booten der Torf transportiert, der hier abgebaut wurde. Ganz so, wie ich es gestern auf meiner Fahrt mit dem Torfkahn erlebt habe.

Einfach war das Leben der Menschen damals nicht. Die Lebensbedingungen in den dunklen, feuchten und niedrigen Moorkaten waren alles andere als angenehm, die Lebenserwartungen gering. Aus der Zeit stammt auch das Wort "Den eersten sien Dot, den tweeten sien Not, den drütten sien Brot".

Heute ist das Teufelsmoor zum größten Teil trockengelegt. Aber mit der Wiedervernässungen einiger Bereiche wird heute versucht, die übriggebliebene Moorlandschaft zu erhalten und sogar auszuweiten.

Im Teufelsmoor
Im Teufelsmoor

Im Teufelsmoor
Im Teufelsmoor

Im Teufelsmoor
Im Teufelsmoor

Der Name "Teufelsmoor" hat übrigens nichts mit dem Teufel zu tun. Vielmehr stammt das Wort aus dem Niederdeutschen "duven" und bedeutet so viel wie taub oder unfruchtbar.

Nach meinem Besuch im "Teufelsmoor" fahre ich zurück zum Hotel, stelle meinen Wagen ab und flaniere ein letztes Mal über die Bergstraße. Auch wenn die Geschäfte mittlerweile bereits geschlossen haben, so gibt es auch in den Schaufenstern genug zu sehen. Anschließend lasse ich mir noch ein leckeres Essen schmecken, als guten Abschluss meiner Zeit hier in Worpswede. Morgen früh fahre ich weiter. Aber ich denke, es lohnt sich, noch einmal wieder zu kommen. Worpswede hat so einiges, das mich interessiert, was ich aber noch nicht gesehen habe. Also sage ich "Auf Wiedersehen" und meine das durchaus wörtlich.

Aber erst, wenn die Straßen- und Brückensanierungen auf der A1 erledigt sind... :o)

Worpswede



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  1. Detlev, Jahrgang '61
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Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mir auf meinen Touren Notizen zu machen, mal mehr und mal weniger ausführlich. Diese "TourNotizen" kannst Du Dir auf den Seiten Deutschland und Europa ansehen.

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Die schönsten Reisezitate

"Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben."

Nicht nur der berühmte deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt wusste, dass Reisen den Horizont erweitert :o)



Hier stelle ich einige Zitate über das Reisen vor, die mir besonders gut gefallen.



 
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